Eine Waldlandschaft ist von Nebel verhangen

Geflüchtet: „Für gute Wissenschaft müssen Menschen sicher leben“

Bansoa, Kamerun

Als in Kamerun 2017 der Konflikt zwischen Separatisten und Regierung eskalierte, floh Dr. Tingum nach Deutschland. Mittlerweile leitet der Geograf ein Forschungsprojekt an einer deutschen Universität. Im Interview berichtet er von kulturellen Unterschieden im Wissenschaftssystem. 

Foto: Morgendlicher Nebel in Bawang, einem Stadtteil von Bansoa in Kamerun. Credits: Unsplash/Edouard Tamba

Du leitest ein Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Welche Fragen beschäftigen dich momentan?
Ich konzentriere mich auf den Zusammenhang zwischen offiziellen und inoffiziellen Verhaltensregeln in einer Gemeinschaft und der Nutzung und Bewirtschaftung von Waldressourcen. Dafür besuche ich regelmäßig drei Forschungsstandorte in Kamerun, um unter anderem Interviews, Diskussionen und Beobachtungen durchzuführen. 

Bis vor drei Jahren hast du in Kamerun als Forscher und Lehrender an einer Universität gearbeitet. Wie unterscheidet sich die Arbeit, die du jetzt machst? 
Die Prioritäten haben sich verschoben. In Kamerun habe ich größtenteils Vorlesungen gehalten, jetzt ist meine Hauptarbeit die Forschung. Wenn es um die Herangehensweise geht, ist die Arbeit hier die gleiche. Dafür ist man hier viel besser ausgerüstet. In meiner Heimatstadt war es schon ein Problem, eine stabile Internetverbindung zu bekommen. Wenn es aber darum geht, Daten vor Ort zu sammeln, war meine Arbeit in Kamerun sehr viel einfacher durch die Nähe zu den Forschungsstandorten. Jetzt muss ich dafür immer extra nach Afrika fliegen, dadurch dauert alles länger. 

Nach Deutschland bist du 2017 eingewandert. Was war dafür ausschlaggebend?
Zunächst wollte ich Kamerun nur deshalb verlassen, um eine wissenschaftliche Karriere in Europa zu starten. Aber in der Bewerbungsphase für das Stipendium hat sich eine Krise zwischen den englisch-sprachigen Regionen und der französisch geprägten Zentralregierung entwickelt, seit 2017 kommt es zu Auseinandersetzungen. Es gibt viele Schießereien und Kämpfe und das bestärkte mich damals, Kamerun zu verlassen.

Das war eine gute Entscheidung, denn nachdem ich gegangen war, ist die Situation weiter eskaliert. Tötungen, Schulen wurden geschlossen, Brutalität von beiden Fronten, die Menschen leben unter kriegsähnlichen Zuständen. Außerdem gab es ein Verbot, zu unterrichten. Wer mit Schülern und Studenten sympathisiert, ist verdächtig. Ich habe Kollegen, die mehrfach gekidnappt wurden, manche wurden gefoltert. Bevor ich gegangen bin, war meine Universität schon für 9 Monate geschlossen. Ich habe so viel Horror gesehen und es gab keine Aussicht auf Besserung. Es war keine schwere Entscheidung, zu gehen.

Und kehrst du für deine Forschung regelmäßig nach Kamerun zurück.  
Das ist ein komisches Gefühl. Aber wir untersuchen die Entwicklung solcher offiziellen und inoffiziellen Verhaltensregeln über die Jahre. Da geht es noch viel um Glauben, Tabus und Traditionen. Dafür ist Europa nicht das beste Beispiel, in Afrika gibt es das noch sehr stark. Außerdem sind die Standorte, an denen ich Daten sammle, in den friedlichen Teilen des Landes. Dort sieht es so aus, als wäre alles in Ordnung. Es ist aber schmerzhaft, regelmäßig so nah an meinem alten Leben dran zu sein. Am schlimmsten war es, bevor meine Frau und meine Tochter nach Deutschland gekommen sind. 

Was hat dieser Neuanfang in Deutschland für deine Karriere in der Wissenschaft bedeutet? 
Ich kam als Forscher und Lehrender an eine Universität und musste erstmal verstehen, wie man sich hier weiterentwickeln kann. Das war eine riesige Herausforderung. Aber die Tatsache, dass ich hier in Sicherheit arbeiten kann, gibt mir Kraft und Zuversicht. Jetzt bin ich sehr optimistisch. Als mein erster Vertrag mit der Uni auslief, habe ich mich auf ein Stipendium beworben. Das habe ich nicht bekommen, dafür aber die Zusage für die Projektförderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Jetzt hoffe ich, dass sich durch das Projekt neue Möglichkeiten ergeben. Ich bin auf viele Konferenzen gegangen, im Moment zwar nur noch online, aber so vergrößere ich mein Netzwerk in Europa und den Vereinigten Staaten. 

Gibt es ein Programm oder eine Organisation, die dich dabei unterstützt hat? 
Ja, ich habe mich 2017 für ein Stipendium an einer deutschen Universität beworben und den Platz auch bekommen. Die Idee war, Wissenschaftler aus der ganzen Welt zu rekrutieren, die für zwei Jahre kommen und sich danach selbstständig entwickeln können. Das Stipendium war aber nicht speziell auf gefährdete Wissenschaftler ausgelegt.  

Wenn Wissenschaft gefährlich wird

Wir haben Interviews mit weiteren geflüchteten Forschenden geführt. Hier findest du die Gespräche:

„Bei der Sprache könnte es mehr Toleranz geben“
In der Türkei hat Dr. Turan promoviert, bis er nach dem Putschversuch nach Deutschland floh. Heute ist er Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative, die gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterstützt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie es ist, in einem anderen Forschungsland neu anzufangen. 
Zum Interview mit Dr. Turan

„Es gibt immer Leute, die mich belehren wollen“
Dr. Inal-Cekic arbeitete als Gastwissenschaftlerin in Deutschland, als der Putschversuch die Türkei veränderte. Weil sie eine regierungskritische Petition unterschrieben hatte, fürchtete sie Probleme bei einer Rückkehr – und blieb. Mit uns sprach die Stadtplanerin darüber,  wie schwierig es ist, ihr Heimatland aus dem Exil zu beforschen.
Zum Interview mit Dr. Inal-Cekic

Es wird viel darüber diskutiert, wie Integration gelingen kann. Wie funktioniert Integration in der Wissenschaft? Wo gab es Schwierigkeiten? 
Das war schon schwierig, weil die deutsche Perspektive eine ganz andere ist. Wer auf eine Führungsposition hinarbeitet, muss einen sehr breiten Forschungsbereich vorweisen können, mit mehreren Teams zusammen arbeiten, Themengebiete verbinden. Statt mich nur mit Wald-Management zu beschäftigen, könnte ich mir die Verbindung zwischen Försterei und Migration anschauen. Das bedeutet natürlich, dass ich viele neue Methoden und Konzepte verstehen muss. Aber ich habe das Gefühl, ich bin auf dem Weg dorthin. 

Welche kulturellen Unterschiede sind dir in deinem Forschungsbereich Geographie aufgefallen?
Geographie unterscheidet sich natürlich je nachdem, in welchem Setting man sich befindet. Deswegen ist Geographie, so wie sie in Kamerun verstanden wird, sicherlich anders als in Deutschland. Aber die kulturellen Unterschiede fallen mir mehr in sozialen Kontexten auf. In Kamerun ist es zum Beispiel normal, eine Bekannte „Mum“ zu nennen. Für Deutsche ist das aber seltsam und unangenehm. So ging es mir umgekehrt mit der Art, wie hier Feedback gegeben wird. Ich bin es nicht gewohnt, dass mir ausschließlich Kritikpunkte genannt werden und das war am Anfang sehr demotivierend. Es hat gedauert, bis ich verstanden habe, dass das normal ist.

Welche Wünsche hast du für deine Zukunft als Wissenschaftler? Welche Wünsche hast du für die Wissenschaft in Kamerun? 
Ich bin eine sehr ehrgeizige Person. Langfristig möchte ich Professor an einer europäischen Universität werden. Zuerst aber Forschungsgruppenleiter, dann kann ich Master- und Doktorstudierende betreuen. Ich freue mich schon darauf, mit ihnen ein Konzept aufzubauen und unsere Ideen zu entwickeln.

Was Kamerun betrifft: Es kann keine gute Wissenschaft geben, solange die Menschen nicht sicher leben. Deshalb müssen beide Parteien, die Regierung und die Separatisten, einen aufrichtigen Dialog zulassen. Wenn das geschafft ist, möchte ich eine langfristige Partnerschaft aufbauen, nicht nur mit Kamerun. Die Frage ist nur, wie wir Partnerschaften aufbauen können, die nicht auf einem Machtgefälle beruht. Eine Position, in der wir miteinander diskutieren und voneinander lernen können.

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