Ursel Fantz entwickelt eine ganz besondere Heizung, die Fusionsplasma auf bis zu 150 Millionen Grad erhitzen soll. Wo sie stehen soll, wofür man solche Temperaturen braucht und warum sie glaubt, dass die Kernfusion die Energie unserer Zukunft ist, erklärt die Professorin für Plasmaphysik im Interview.
Foto: Ein Teil der Vakuum-Kammer des ITER-Reaktors, in dem die Kernfusion stattfinden soll. Credit: ITER Organization, http://www.iter.org/
Frau Fantz, in Südfrankreich wird seit einigen Jahren eine riesige Forschungseinrichtung gebaut – der ITER, das steht für International Thermonuclear Experimental Reactor. Was genau soll da erforscht werden?
ITER soll zeigen, dass es technisch und physikalisch machbar ist, mithilfe von Kernfusion (siehe Video) auf der Erde Strom zu erzeugen. Dafür sollen verschiedene Materialien und Komponenten für eine zukünftige Fusionsmaschine ausgetestet werden. Um einen solchen großen Schritt zu gehen, war es notwendig, dass sich viele Nationen zusammenschließen. Wichtig ist: ITER ist ein Forschungsprojekt. Die Anlage ist nicht als Kraftwerk konzipiert, das Strom ans Netz liefern wird.
Die Idee an sich ist ja gar nicht so neu. Auf der ganzen Welt wird die Kernfusion bereits seit Jahren erforscht – warum jetzt ausgerechnet mit diesem Projekt?
ITER soll alle offenen Fragen beantworten, damit der Bau von Demonstrationskraftwerken möglich wird. ITER ist das erste Fusions-Projekt dieser Größe (siehe Infokasten). Man muss erstmal lernen, mit so einer großen Maschine umzugehen. Das ist ein bisschen, wie wenn man sich in einen Rennwagen setzt: Ich kann zwar Auto fahren, aber in einem Rennwagen zu sitzen, ist nochmal eine andere Welt.
Die Idee von ITER ist aber auch, dass die Technologie allen Partnern zugänglich ist, so dass die dann wieder in ihrem Land entscheiden können: Ja, wir bauen jetzt einen Demonstrationsreaktor, wir haben die Technologie dafür. Es wird alles untereinander geteilt. Das ist auch ein Grundgedanke des Projekts.
Schon seit den frühen 1920er Jahren träumt die Wissenschaft davon, nachzumachen, was im Kern der Sonne passiert. Dafür arbeiten die EU, Russland, die USA und Japan bereits seit 1985 an Plänen für ein gemeinsames Forschungsprojekt. Anfang des neuen Jahrtausends schlossen sich China, Indien und Südkorea dem Vorhaben an. 2005 wurde der kleine Ort Saint Paul-lez-Durance nördlich von Marseille als Standort für das Projekt ausgesucht. Trotzdem dauerte es noch mehrere Jahre, bis dort mit dem Bau begonnen wurde. Ursprünglich sollte der Reaktor 2016 in Betrieb genommen werden, doch 2022 ist er immer noch nicht fertig gebaut.
Der Reaktor hat die Form eines Donuts. In der ringförmigen Kammer befindet sich das Plasma. Da es bis zu 150 Millionen Grad heiß werden soll, wird es von starken Magnetfeldern von den Wänden dieses Donuts weggedrückt, sonst würden sie schmelzen. Durch den vom Magnetfeld erzeugten Druck werden auch die Atome dichter aneinandergedrückt, sodass eine Kernfusion wahrscheinlicher wird. ITER soll das erste Projekt sein, bei dem mehr Energie erzeugt wird, als für die Heizung eingesetzt wird. Das hat bisher noch kein Experiment geschafft.
Sie arbeiten ja nicht durchgehend auf der ITER-Baustelle in Frankreich, sondern hauptsächlich am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Deutschland. Womit beschäftigen Sie sich da?
Wir bauen eine Neutralteilchenheizung für den Reaktor. Wir versuchen dabei die Frage zu lösen: Wie kriege ich das Plasma, das für die Kernfusion benötigt wird, so heiß, dass eine Fusionsreaktion abläuft? Man kann das Plasma durch die Art, wie es im Reaktor erzeugt wird, schon auf die Temperatur der Sonne erhitzen. Damit die Fusion auf der Erde funktioniert, muss es aber noch zehnmal heißer werden, um den fehlenden Druck der Sonne auszugleichen. Dazu gibt es verschiedene Methoden. Eine davon ist die Neutralteilchenheizung.
Diese Neutralteilchenheizung befüllt das Plasma mit energiereichen, elektrisch neutralen Teilchen. Diese Teilchen werden nicht von dem starken Magnetfeld im Reaktor angezogen und können ihre Energie dann durch Stöße auf andere Teilchen im Plasma übertragen und es damit anheizen.
Außerdem bauen wir Diagnostik für den Reaktor, also zum Beispiel Messgeräte für den Druck und die Emissionen.
Waren Sie schon mal vor Ort in Frankreich?
Ja, schon mehrere Male. Es ist immer wieder faszinierend, die Größe, Komplexität und den Fortschritt zu sehen. Man denkt immer, die Anlage ist groß, aber wenn man da ist, realisiert man erst, WIE groß ITER ist. Beim Bau der Anlage gibt es eine klare Aufgabenteilung: Bei der Neutralteilchenheizung es zum Beispiel so, dass Europa dafür zuständig ist, die Ionenquellen zu erforschen. Und Japan ist dafür zuständig, diese Ionen zu beschleunigen. Und in Europa sind wir als Deutschland ja auch nur ein Land unter vielen. Da wird auch nochmal der internationale Zusammenhalt klar. Das ist, als würde man ein Auto bauen, und jeder der vier Reifen wird aus einem anderen Land geliefert. Das erfordert sehr genaue Absprachen und auch Kompromisse. Man muss sich dauernd zusammentun und gleichzeitig haben eben verschiedene Komponenten ganz verschiedene Verantwortlichkeiten. Die sind ganz klar benannt. Und dann muss es natürlich den Übergang zur Maschine geben, damit am Ende auch alles zusammenpasst.
Sie wollen mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Abläufe in der Sonne nachbilden. Was sind die größten Herausforderungen auf dem Weg zu diesem Ziel?
Die Herausforderung ist technologisch zum einen natürlich, dass Sie jede Komponente sehr gut kühlen müssen. Die Materialien sind extremsten Bedingungen ausgesetzt und sollen lange halten. Das ist vergleichbar damit, wenn ein Raumschiff in die Atmosphäre eintritt – nur dauert das eben nur wenige Minuten. Der Reaktor soll das mehrere Jahre aushalten.
Eine andere Herausforderung ist die Rohstoffbeschaffung, genaugenommen das Tritium. Davon gibt es auf der gesamten Erde nur ungefähr 3 ½ Kilo. Man kann es aus Kernkraftwerken bekommen, aber das ist natürlich keine sinnvolle Quelle auf Dauer. Bei ITER ist die Idee, das Tritium aus Lithium herzustellen. Bei den Reaktionen im Plasma entstehen ja Neutronen, die auf die Lithiumwände des Reaktors treffen. Dabei kann neues Tritium entstehen.
Das Wandmaterial muss also gleichzeitig die Neutronen absorbieren, muss das Tritium abgeben, muss gekühlt werden und es muss noch Wärme durchlassen, damit wir daraus mit einer Turbine Strom erzeugen können. Das sind ziemlich komplexe Anforderungen an das Material. Deswegen werden bei ITER verschiedene Konzepte getestet, wie man das schaffen kann.
„Das ist, als würde man ein Auto bauen, und jeder der vier Reifen wird aus einem anderen Land geliefert. Das erfordert sehr genaue Absprachen und auch Kompromisse.“
Ursel Fantz, Professorin für Plasmaphysik
Credit: IPP/ Silke Winkler
Bislang hat der Bau von ITER viel länger gedauert und ist viel teurer als ursprünglich geplant. Wird ITER überhaupt irgendwann fertig?
Ich denke da direkt an den Berliner Flughafen oder die Elbphilharmonie. Bei solchen Großprojekten gibt es immer wieder solche Verzögerungen. Im Falle von ITER kommt noch dazu, dass das natürlich auch ein politisches Abenteuer ist. Bis da eine Entscheidung getroffen werden kann, dauert es meist ein halbes Jahr, weil sich erst alle beteiligten Länder einigen müssen.
Und dann gibt es noch den Scherz von der Fusionskonstante von 50 Jahren: „In 50 Jahren klappt das mit der Kernfusion.“ Da muss man ja sehen, dass vor 50 Jahren der Grundgedanke erst konkret geworden ist, Fusion auf die Erde zu holen. Da war man sicher in vielen Sachen zu naiv, und hat zu viel versprochen, dass man das in 10 Jahren geschafft haben wird. Mit der Zeit hat man gelernt, warum das nicht so einfach ist und dass man so ein großes Projekt wie ITER braucht. Dass es noch lange dauern wird, ist natürlich auch geschuldet dessen, dass es sehr teuer ist, weil jede Komponente ein Prototyp ist. Da kann man nicht zur Industrie gehen und sagen: „Das kaufen wir jetzt.“ Die Teile, die wir brauchen, gibt es nicht von der Stange.
Teuer ist die Kernfusionsforschung auf jeden Fall. In dieses Projekt fließt eine Menge Geld: 5 Milliarden Dollar waren ursprünglich angedacht, diese Summe hat sich bereits vervielfacht. Während die ITER-Verwaltung offiziell von etwa 22 Milliarden Dollar spricht, schätzte das US-amerikanische Energieministerium 2018, dass insgesamt etwa 65 Milliarden US-Dollar nötig seien, nur um den Reaktor zu bauen. Dieses Geld fehlt doch dann an anderen Stellen, oder? Zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien.
Das ist ein schwieriges Thema. Aber wenn ITER erfolgreich läuft, hoffe ich auch auf einen stärkeren Schub in der Privatwirtschaft. Wir erleben jetzt schon eine Welle von Startups auf dem Feld, über die Welt verteilt. Vor einem Jahr waren es knapp über 20, jetzt sind es schon mehr als 30.
Und: Vieles, was für ITER entwickelt wird, kann auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, besonders wenn es um Materialien für sehr hohe Temperaturen geht. Wenn man erstmal eine Spule in der Größe für einen Fusionsreaktor gebaut hat, kann man sie für nahezu alle denkbaren Anwendungen bauen.
Glauben Sie, die Kernfusion ist die Zukunft unserer Energiewirtschaft?
Der Punkt ist, dass wir viele unserer bisherigen Energiequellen nicht mehr nutzen wollen. Kohle, Kernspaltung, das sind Kraftwerke, die eine gewisse Grundlast bereitstellen können. Im Gegensatz dazu haben erneuerbare Energien wie Wind- oder Solarenergie immer Schwankungen und benötigen deshalb Speicher. Es gibt Studien, die abschätzen, dass man die zwei- bis dreifache Kapazität vorhalten muss, wenn man den ganzen Energiebedarf in Deutschland mit erneuerbaren Energien zu jeder Zeit decken möchte. Ob wir dafür genügend Speicher bauen können und ob das Stromnetz das aushält, sind offene Fragen.
Kernfusion könnte hingegen beständig Strom liefern und eine Alternative zu Gas, Kohle und Kernspaltung sein. Für einen vernünftigen Energiemix werden wir eine solche saubere und beständige Energiequelle auch brauchen.
Man kann die Baustelle von ITER auch besichtigen. Mehr dazu auf der Webseite des Projekts: https://www.iter.org/visiting