Der Schatz aus der Tiefe

Island

Island war lange Zeit ein armes Land am Rande von Europa – abhängig von importierten Brennstoffen wie Kohle und Gas. Heutzutage ist es ein Vorbild in Sachen grüner Energie und bezieht diese aus eigenen Ressourcen. Ein kritischer Blick auf das größte Kraftwerk Islands zeigt, wie dieser Schritt gelingen konnte.

Foto: Geothermie. Credits: Pixabay/longdan91.

Um 1900 war Island ein Land, das im Wesentlichen vom Fischfang lebte. Natürliche Ressourcen gibt es auf der Insel im Nordatlantik kaum. Die Wälder hatten Siedler schon vor Jahrhunderten abgeholzt. Zum Heizen und Stromerzeugen musste Kohle teuer eingeführt werden. Während des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Island dann zu einem Land, das nicht mehr von Energeimporten abhängig war. Das Land hat niedrige Strompreise und eine weitgehend intakte Umwelt.

Zum großen Teil verdankt Island diese Wende einem Schatz, der tief im Boden schlummert. Er ist farblos, sehr heiß und stinkt nach faulen Eiern – die Geothermie. Diese wird auch als Erdwärme bezeichnet und nutzt die Energie, die in den Erdschichten vorhanden ist, um zu heizen, zu kühlen und Strom zu erzeugen.

Dadurch das Island das Potenzial dieser Kraft früh erkannt hat, ist es dem Rest Europas einige Schritte voraus. Bereits in den 1920er Jahren hat Island mit Thermalwasser geheizt. Im Jahr 1969 ging das erste Geothermiekraftwerk Islands ans Netz. Im Zuge der Ölkrise der 1970er Jahre hat Island dann vermehrt auf Geothermie gesetzt, um die Energieversorgung nicht von Schwankungen im Ölpreis abhängig zu machen. 1985 deckte Island dadurch nur noch fünf Prozent seines Energiebedarfs in Form von Öl zum Heizen. Um die Jahrtausendwende hat Island dann damit angefangen, mehr Kraftwerke zu bauen, um Strom und Wärme für die Bewohner und die Industrie zu gewinnen. Ein weiterer Vorteil: Geothermie ist nicht von Wind und Wetter abhängig, sondern funktioniert das ganze Jahr über zuverlässig.

Geothermie nutzbar machen

2006 hat Island dann sein größtes Geothermiekraftwerk bekommen – das Hellisheiði-Kraftwerk. Es liegt ein Stück südöstlich der Hauptstadt Reykjavík. Es kann 303 Megawatt Strom und 400 Megawatt Wärmeenergie erzeugen. Die Strommenge entspricht rund einem Drittel eines großen Atomkraftwerks. „Für Island ist das ziemlich viel“, sagt Samuel Scott, Geothermie-Forscher an der Universität von Island. Schließlich leben auf der Insel nur knapp 400.000 Menschen, so viel wie in einer durchschnittlichen deutschen Großstadt.

Das Kraftwerk erinnert ein bisschen an ein Fabrikgebäude. Dieser Eindruck wird verstärkt, da aus den Schornsteinen große Mengen an weißem Dampf entweichen. Vor dem Kraftwerk befindet sich zudem noch ein längliches Gebäude mit einem gläsernen Eingang. Dort können sich Besucher in einer Ausstellung über die Nutzung von Geothermie in Island und über das Kraftwerk informieren. Rund um die Anlage befindet sich weit und breit vor allem Natur. Nur die vielen langen Rohre und Stromtrassen, die von dem Kraftwerk wegführen und hinter einem Berg verschwinden, deuten darauf hin, dass hier Strom und Wärme erzeugt werden.

Das Hellisheiði-Kraftwerk wird von Dampf und heißem Wasser angetrieben. Sie strömen als Gemisch aus einem fünf Kilometer tiefen geothermischen Reservoir nach oben. In Kraftwerk trennt sich der Dampf von der Flüssigkeit. Der Dampf treibt eine erste Turbine an, die sich dadurch in Bewegung versetzt. Diese ist an einen Generator angeschlossen, der Strom produziert. Das Wasser sammelt sich währenddessen in einem Tank. Dort wird der Druck des Wassers verringert. Das führt dazu, dass sich ein Teil des Wassers schlagartig in Gas verwandelt. Dieses Gas treibt eine weitere Turbine an, so dass mehr Strom entsteht. Das restliche Wasser läuft dann weiter in einen Wärmetauscher. Dort erhitzt es das Wasser des Wärmenetzes für Wohnungen und Industrieanlagen. Das abgekühlte geothermische Wasser wird wieder in die Tiefe gepumpt. Dort erhitzt die Erdwärme das Wasser erneut und der ganze Kreislauf beginnt wieder von vorne. Zusammen mit dem zweitgrößten Kraftwerk Islands, dem Nesjavellir, produziert Hellisheiði mehr als die Hälfte der Heizwärme für Reykjavík. Im ganzen Land werden auf diese Weise ein Viertel des Strombedarfs und der gesamte Wärmebedarf gedeckt.

Die Tiefe macht den Unterschied

Island hat nicht nur zur richtigen Zeit auf die richtige Technologie gesetzt, sondern hatte auch Glück. Denn bis auf in Italien sind die Bedingungen für die Geothermie im Rest von Europa nirgends so gut wie auf der Insel im Atlantik. Europäische Länder wie Deutschland oder Frankreich können zum Beispiel mithilfe von Wärmepumpen nur in den oberen Schichten der Erde Wärme. Das ist die sogenannte „oberflächennahe Geothermie“. Sie reicht jedoch nicht aus, um Strom zu gewinnen. Denn erst in den tiefen Erdschichten ist es heiß genug, dass Wasserdampf entsteht, der große Turbinen antreiben kann.

Damit das funktioniert, müssen aber drei wichtige Bedingungen erfüllt sein. Als Erstes müssen aktive Vulkane vorhanden sein. Als Zweites sollte das Gestein eine hohe Durchlässigkeit besitzen, sodass eine Bohrung in tiefe Gesteinsschichten möglich ist. Als Letztes sollte es auch einen sogenannten hohen Wärmefluss geben. Das bedeutet, dass der Temperaturunterschied zwischen der Oberfläche und dem geothermischen Reservoir möglichst groß sein sollte, je heißer, desto mehr Dampf entsteht. In Island sind alle drei Bedingungen erfüllt. Zusätzlich liegt Island auch noch an einer Grenze von zwei tektonischen Platten, wo die vulkanische Aktivität besonders hoch ist.

Gefahren für die Umwelt

Nachdem die Bauarbeiter 2006 das Hellisheiði-Kraftwerk fertig errichtet hten, hat es aber auch erste Probleme gegeben. So haben Forschende eine starke Zunahme an Erdbeben gemessen. „Aber die meisten Erdbeben sind sehr klein und haben eine Stärke von 2 oder 3, sodass man sie kaum spürt, oder sie haben sogar eine geringere Stärke als diese“, ordnet Samuel Scott die Gefahr ein. Zusätzlich befinden sich in dem Wasser-Gas-Gemisch Gase, die die Umwelt und das Klima gefährden können. Besonders gefährlich ist dabei Schwefelwasserstoff, der den Geruch nach faulen Eiern erzeugt. In großen Mengen kann er die Umwelt schädigen. Für das Klima ist vor allem Kohlenstoffdioxid schädlich, das aus der Tiefe ausströmt. In dem Projekt Carbfix werden die schädlichen Gase eingefangen und wieder in das geothermische Reservoir gebracht [LINK zum Beitrag von Katharina Hensel CCS]. „Geothermie hat im Vergleich zur Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen einen Kohlenstoff-Fußabdruck von etwa fünf Prozent oder weniger“, schätzt Samuel Scott.

Auch für den Rest Europas geeignet?

Da aber die meisten anderen europäischen Ländern keine vulkanische Aktivität oder Nähe zu tektonischen Platten aufweisen, ist dort eine Stromproduktion durch Geothermie kaum möglich. Durch oberflächennahe Geothermie könnten zum Beispiel Wärmepumpen aber zumindest Wärmeenergie erzeugen, um weniger Gas zum Heizen nutzen zu müssen. Zusätzlich forschen mittlerweile Wissenschaftler auch daran, wie man geothermische Ressourcen unter Wasser erreichen kann, um Energie zu gewinnen. Bisher ist aber noch nicht klar, wie das technologisch umsetzbar ist. Deswegen wird es wohl noch eine Weile dauern, bis dadurch oder durch weitere Innovationen auch in anderen Ländern Europas in größeren Mengen Energie gewonnen werden kann.

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