Corona, Krieg und Klimawandel. Der Alltag ist längst geprägt von mehr als einer globalen Krise. Kein Wunder, dass viele sich überfordert fühlen und lieber wegsehen, statt aktiv zu werden. Nicht zuletzt auch als Selbstschutz vor der Überwältigung. Doch genau dieser Rückzug führt uns tiefer ins Problem.Nicht nur Bäume und Eisbären kommen mit drastischen Temperaturerhöhungen und -schwankungen nicht klar, sondern auch wir Menschen nicht. Fakt ist: Retten wir das Klima, retten wir vor allem uns selbst. Wie behandeln wir also diese Krise?
Foto: Klima und Gesundheit. Credits: Pexels/Anna Shvets.
Anamnese
Vor der Behandlung muss zunächst festgestellt werden, wo es wehtut. Am offensichtlichsten sind dabei wohl die direkten Folgen von Hitze. Starke Temperaturschwankungen belasten das Herz-Kreislauf-System. Vor allem Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Herzerkrankungen sind gefährdet, da sie weniger widerstandsfähig gegenüber hohen Temperaturen sind. Im schlimmsten Fall kann eine Hitzewelle dann sogar zum Tod führen. Doch die Hitze hat noch weitere Auswirkungen: Waldbrände werden durch Trockenheit und extreme Temperaturen begünstigt und verschlechtern die Luftqualität. Der entstehende Rauch erhöht das Risiko für Atemwegs- und Herzerkrankungen und kann auch langfristig gesundheitsschädigend wirken. Zudem wird das Trinkwasser durch die Brände und die freigesetzten Schadstoffe verunreinigt, wodurch sich Krankheitserreger wie Viren und Bakterien besser verbreiten können. Wenn Flüsse und Seen durch anhaltende Hitze austrocknen, kann auch Wasserknappheit zu einem Problem werden. Mit der Folge, dass Menschen in einigen Regionen der Welt verdursten. Zusätzlich wird auch die Nahrungsversorgung schwierig. Klimabedingte Ernteausfälle führen zu geringeren Erträgen und trockene Böden zu einer schlechteren Nährstoffqualität der Pflanzen. Das bedeutet, dass selbst verfügbare Nahrung weniger Nährstoffe enthält. Es leiden also auch mehr Menschen unter Hunger, was ebenso krank macht. Die Liste der Zusammenhänge ist lang.
Noch länger wird sie, wenn man indirekte Auswirkungen noch mit einberechnet. Der Verlust von Lebensgrundlagen durch Ernteausfälle, Wassermangel und extreme Wetterereignisse führt zusätzlich zu wachsender Armut und sozialer Ungleichheit. Diese Probleme verschärfen Konflikte um knappe Ressourcen, was wiederum die Sicherheit in vielen Regionen gefährdet. Zwar sind einkommensschwache Länder besonders stark davon betroffen, doch die Auswirkungen werden weltweit spürbar sein.
(Mehr zu den Auswirkungen von Klima auf die Gesundheit hört ihr hier)
Das Kombi-Präparat
Was sind die Behandlungsmöglichkeiten? Klassisch wird in zwei verschiedene Arten von Klimaschutzmaßnahmen unterschieden. Einerseits gibt es Maßnahmen zur Linderung der Symptome, wie Schmerzmittel bei Kopfschmerzen. Andererseits gibt es Maßnahmen zur Heilung und Prävention, wie eine Impfung, um zukünftige Ausbrüche zu verhindern. Das Problem: Manchmal kann die Linderung der akuten Symptome die langfristige Heilung erschweren, indem sie die zugrunde liegende Ursache verdeckt. So kann eine Klimaanlage vielleicht an heißen Tagen vor Hitze-Erschöpfung helfen, verlagert die Wärme aber letztendlich nur unter Energieverbrauch ins Freie. Kontraproduktiv, wenn die Erderwärmung aufgehalten werden soll.
Andrew Haines ist ehemaliger Direktor der London School of Hygiene & Tropical Medicine und Professor für Umweltveränderungen und öffentliche Gesundheit am zugehörigen Zentrum für Klimawandel und Planetary Health. Er setzt auf Lösungen, die Abschwächung und Anpassung gleichzeitig angehen, ohne sich gegenseitig auszuspielen. Einfach gesagt: Ein Wirkstoff, gegen zwei Probleme.
Die gute Nebenwirkung
Das Beste am Kombi-Präparat? Es hat eine entscheidende, positive Nebenwirkung: Die Verbesserung unser aller Gesundheit. Das lässt sich auf verschiedenste Sektoren anwenden. Ganz direkt lässt sich das in den Transport- und Ernährungssektoren beobachten. Wer häufiger zu Fuß geht oder Fahrrad fährt, statt das Auto zu benutzen, hält sich fit und stößt keine Treibhausemissionen aus. Neben der zusätzlichen Bewegung bedeuten weniger Autos auch weniger Unfälle und sauberere Luft.
Darüber hinaus ist ein Speiseplan aus Obst und Gemüse gut für Mensch und Natur. Denn dieser hat eine geringere Klimabilanz als eine Ernährung aus Fleisch und Fast Food.
Als weiteres Beispiel nennt Andrew Haines den Energiesektor. Dass Treibhausgase drastisch reduziert werden müssen, um den Klimawandel zu verlangsamen, ist vielen wohl klar. Neben Kohlenstoffdioxid spielt auch Methan eine Rolle. Methan trägt erheblich zur Bildung von troposphärischem Ozon bei. Das ist ein Schadstoff, der unsere Lungenfunktion beeinträchtigen kann und das Risiko für Lungenerkrankungen erhöht. Wenn wir Methan reduzieren, sinkt auch die Ozonbelastung. Außerdem verringert eine geringere Nutzung fossiler Brennstoffe die Menge an gefährlichen Feinstaubpartikeln in der Luft. Diese atmen wir täglich ein, wodurch sie tief in unsere Lungen eindringen. So erhöhen sie das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Atemwegserkrankungen. Jede Maßnahme, die diese Emissionen senkt, verbessert die Luftqualität und schützt dementsprechend unsere Gesundheit. „Wenn wir also auf erneuerbare Energien umsteigen, und zwar auf saubere erneuerbare Energien, dann tun wir nicht nur etwas für das Klima, sondern auch für die menschliche Gesundheit, indem wir die Luftverschmutzung reduzieren“, sagt Haines.
Die schlechten Nachrichten
So schön wie der Genesungsplan nun klingt, hat er doch einen gewaltigen Haken: die Umsetzung. Denn leider handelt es sich eben nur metaphorisch um eine Wunderpille und die tatsächlichen Maßnahmen erfordern mehr als nur ein Rezept. Andrew Haines gibt zu, dass Verhaltensänderungen benötigt werden, die „erhebliche Veränderungen in der Art und Weise, wie die Gesellschaft geführt wird“ erfordern. Und dafür braucht es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und Durchhaltevermögen. Wie also erreicht man die Menschen? Und wenn man sie erreicht, wie bekommt man sie zum Handeln?
Compliance
Wissenschaftsjournalist Andy Ridgway forscht an der University of the West of England unter anderem an Wissenschaftskommunikation in Krisenzeiten. Er sieht eine der Herausforderungen in der Kommunikation von Klimaschutzmaßnahmen darin, effektiver auf verschiedene Zielgruppen einzugehen. Diejenigen, die sich weniger mit Wissenschaft beschäftigen, seien oft auch weniger handlungswillig und offen für Wandel. Letztendlich spiele auch Vertrauen eine große Rolle. „Vertrauen ist ein knappes Gut, und oft sind es nicht die, die wir als konventionelle Experten bezeichnen würden, wie Wissenschaftler oder Ärzte, denen man unbedingt in dem Maße vertraut, wie wir es vielleicht hoffen“, betont Ridgway. Die Kommunikation muss also transparent und vor allem auf Augenhöhe geschehen.
Empfehlungen für Klimakommunikation
Bereits 2014 wurden in einer Studie der American Psychological Association (APA) und ecoAmerica zehn Empfehlungen für Klimakommunikation erstellt, um das Klimaschutzengagement der Bevölkerung zu erhöhen.
1. Menschen das Vertrauen geben, dass sie sich auf den auf den Klimawandel vorbereiten und ihn abschwächen können
2. Konkrete Lösungen kommunizieren
3. Co-Benefits hervorheben
4. Gefühle aufgreifen
5. Persönliche Geschichten verwenden
6. Bilder mit Vorsicht behandeln
7. Auf lokale Bedingungen und Bräuche konzentrieren
8. Die Kraft kollektiven Handelns betonen
9. Menschen helfen, ihre Erfahrungen richtig zu interpretieren
10. Alles zusammenfügen
Anders als beispielsweise bei der Corona-Pandemie, scheinen die Auswirkungen des Klimawandels in Europa oft fern – sowohl geografisch als auch zeitbezogen. Dass das längst nicht mehr der Fall ist, zeigen Waldbrände in Spanien und Griechenland und Überflutungen in Deutschland, Österreich und Tschechien. Die Therapie ist zweifelsfrei längst überfällig. Prof. Andrew Haines ergänzt, dass Nähe auch auf gesundheitlicher Ebene gegeben ist: „Ich denke, dass die Einstufung des Klimawandels als gesundheitliche Notlage das Potenzial hat, den Hebel umzulegen und den Ehrgeiz der politischen Entscheidungsträger zum Handeln zu bewegen“.
Ein weiterer Fokus eint den Kommunikationswissenschaftler mit dem Klimaforscher: Die Betonung des Guten. Oder auch: Konstruktiver Journalismus. Dieser Begriff wurde im deutschen unter Anderem von Maren Urner geprägt. Sie ist Neurowissenschaftlerin und Mitgründerin von Perspective Daily, einem Onlinemagazin für Konstruktiven Journalismus. Der Ansatz besagt, dass statt negativer Aussichten vielmehr die Möglichkeiten und Ergebnisse hervorgehoben werden sollten, die sich aus eigenem Handeln ergeben können. Genau dafür könnten die Synergieeffekte von Klimaschutzmaßnahmen auf die Gesundheit einen guten Ansatz liefern.