Tief ins Gehirn werden zwei Elektroden geschoben. Über einen Schrittmacher am Schlüsselbein kann so hochfrequenter Strom in unser Hirn geleitet werden – und den Zielort im Kopf elektrisch stimulieren. Das klingt nach Sciencefiction, ist aber eine wahre Revolution der Neurotechnologie. Schon seit 30 Jahren pflanzen Chirurg:innen zum Beispiel Parkinsonerkrankten solche Elektroden ins Gehirn. Nun sollen künstliche Synapsen diese Technologie noch weiterdenken. Mit möglichen Vorteilen – aber auch potenziellen Risiken. Und letztlich sind all diese Technologien auch ein ethisches Wagnis.
Foto: Das menschliche Gehirn ist unser kompliziertestes Organ – und dennoch können wir es heute schon eleketrisch stimulieren. Credits: unsplash/aresbuddhi
Unser Gehirn ist das komplexeste und unerforschteste Organ des Menschen. Es ist von einem Netz aus 100 Milliarden Nervenzellen durchspannt. Sie sind miteinander verknüpft. Kommunizieren miteinander. Ihr Mundwerk: die Synapsen. Darüber können wir Sinneseindrücke wahrnehmen und denken. Dazu kommt zunächst ein elektrisches Signal, ein Befehl, an einer Nervenzelle an. Nur wenn das Signal stark genug ist – der Befehl laut genug – wird er über die Nervenleitung der Zelle zu den Synapsen am anderen Ende geleitet – und so verarbeitet. Die Nervenzelle fängt an zu sprechen. Denn der elektrische Impuls sorgt dafür, dass chemische Botenstoffe freiwerden. Also Befehle, die wiederrum die folgende Zelle verstehen kann. Ist die nächste Nervenzelle einmal so angeregt, kann auch sie ihren Nachbarn ansprechen und so die Befehle weitergeben.
Wenn Proteine den Redefluss stören
Im Alter kann diese Kommunikation gestört werden. Einzelne Nervenzellen gehen kaputt und weitere werden dadurch inaktiv. Auch steigt das Risiko, dass neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson entstehen. Noch sind die Ursachen davon nicht ausreichend verstanden, sagt Wolf-Julian Neumann, Professor an der Klinik für Neurologie an der Charité Berlin. Bekannt ist aber, dass Populationen von Nervenzellen tief im Gehirn untergehen – solche, die Dopamin produzieren. Dopamin ist einer der Botenstoffe und unter anderem wichtig für Bewegung, Motivation und Belohnung, erklärt Neumann. Diese Dopaminnervenzellen tief im Mittelhirn sterben ab, weil sich dort Proteine ausbreiten, die krankhaft sind. So verhindern sie, dass elektrische und neurochemische Signale bei benachbarten Hirnarealen ankommen. Reden können die Nervenzellen im Gehirn dann nicht mehr alle. „Und dann gibt es da unter anderem einen ganzen bunten Strauß von genetisch ausgelösten, atypischen Parkinsonerkrankungen“, ergänzt Volker Arnd Coenen, Professor und Facharzt für Neurochirurgie sowie ärztlicher Leiter der Abteilung der Stereotaktischen und funktionellen Neurochirurgie am Uniklinikum Freiburg.
Mediziner:innen behandeln Parkinson heute zunächst mit Medikamenten, wie Agonisten. „Die Agonisten sind eine Stoffklasse, die dazu führt, dass das noch vorhandene Dopamin schlechter oder weniger abgebaut wird“, erklärt Coenen. Auch gibt es Wirkstoffe, die ein Vorläufer des Botenstoffs sind und dem Dopamin ähneln. Im Gehirn werden diese zu Dopamin umgebaut und können den dortigen Mangel zu einem gewissen Grad ausgleichen. Doch: „Nach einer gewissen Zeit ist es so, dass die medikamentöse Wirkung nicht mehr ganz so langanhaltend ist wie vorher, dann sucht man Therapiealternativen“, ergänzt Neumann.
Ein elektrischer Sprachassistent für Nervenzellen
Eine dieser Alternativen ist die elektrische Stimulation. Im fortgeschrittenen Stadium von Parkinson, wenn zum Beispiel Stand- und Gehschwierigkeiten auftreten, setzen Chirurg:innen elektrische Hirn-schrittmacher ein. Die Technologie dahinter nennt sich Tiefe Hirnstimulation (THS), erklärt Coenen, der diese Schrittmacher selbst implantiert: Bereits in den 70er-Jahren wurde sie bei chronischen Schmerzen eingesetzt. Durchsetzen konnte sie sich aber erst, nachdem sie der Franzose Alim-Louis Benabid mit dem Neurologen Pierre Pollak 1986 gegen Muskelzittern entwickelte. Seit 1996 ist sie dafür in Europa zugelassen. Wie in einer Studie im Journal Of Neurosurgery deutlich wird, war es ebenfalls Benabid, der 1993 die erste Stimulation in der Hirnregion Nucleus subthalamicus durchführte – dort, wo heute meist bei Parkinson stimuliert wird.
Aber wie genau funktioniert das bei Parkinson? Für die THS schieben Neurochirurg:innen zwei Elektroden in die Tiefe des Gehirns der Patient:innen. Die anderen Enden der Elektroden laufen in einem Schrittmacher zusammen, der auf Höhe des Schlüsselbeins implantiert wird. Über den Schrittmacher kann dann Strom mit sehr hoher Frequenz von über 100 Hertz ins Gehirn geleitet werden, sodass der Zielort elektrisch stimuliert wird. „Typischerweise stimuliert man die Region Nucleus subthalamicus. Das ist eine Struktur, die bei Parkinson-Erkrankten überaktiv ist und die versucht man in ihrer Funktion zu zähmen“, beschreibt Coenen. Dafür muss der Schrittmacher nach der Operation passend zu den Symptomen programmiert werden.
Damit kann Parkinson zwar nicht geheilt, aber die Symptome können gemildert werden. „Das Haupt-problem der Patient:innen ist, dass sie sich nicht gut bewegen können. Und diese Bewegungsverlangsamung kann man mit der THS sehr gut behandeln. Sie ist auch genauso effektiv fürs Zittern“, betont Neumann. Die THS hilft also die Kommunikation der Nervenzellen zu regulieren. Ihren Mund nicht zu viel und nicht zu wenig aufzumachen – so, dass die Befehle wieder verständlich sind. Coenen schätzt die Erfolgschance der Implantation bei optimal angepasster Stimulation auf etwa 80 Prozent. Und der Erfolg zeige sich auch: „Wir sagen den Patienten, wenn wir anfangen zu behandeln, dass wir die Krankheit um circa fünf Jahre zurücksetzen. Man hat aber dauerhaft gute Effekte mittlerweile bis 15 Jahre nachgewiesen. Aber natürlich ist der Effekt nach 15 Jahren nicht mehr so toll, wie am Anfang“, beschreibt der Neurochirurg. Kliniken wie das Uniklinikum Freiburg, an dem Coenen arbeitet, machen heute 40 bis 60 THS pro Jahr. „Hochgerechnet werden wahrscheinlich im Jahr 400 Implantationen in Deutschland gemacht“, schätzt Coenen.
Bei Risiken und Nebenwirkungen
Das aber nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen: „Je ungenauer und unpräziser implantiert wird, desto mehr Probleme mit Nebenwirkungen kann man haben“, erklärt Neumann. „Ähnlich wie bei der medikamentösen Behandlung kann es zu Überbeweglichkeit kommen. Die Verständlichkeit des Sprechens kann sich verschlechtern. Und es kann sein, dass ein Kribbeln auftritt, das würde man dann aber immer direkt behandeln, indem die Stimulation neu eingestellt wird“, berichtet der Neurologe.
Früher soll es Abstoßungsreaktionen des Gehirns gegenüber den Materialien der Elektroden gegeben haben. Für die heute verwendeten Metalle Platin und Iridium ist das aber kein Problem mehr, sagt Coenen. Zudem werden die Elektroden mit Silikon oder dem Kunststoff Polyurethan ummantelt, die der Körper typischerweise nicht angreift. „Es gibt immer mal jemanden, der allergisch drauf reagiert, das ist aber ganz selten“, versichert der Neurochirurg. Stattdessen ergänzt Neumann, dass mögliche Infektionen eine etwas größere Sorge wären. „In seltenen Fällen kann es bei Patient:innen mit geschwächtem Immunsystem zu Infektionen am Implantat kommen.“ Auch könnten im Bereich der Elektroden bei der ersten Implantation temporär Wassereinlagerungen entstehen. „Sie stehen unter Verdacht, vorübergehend für kognitive Defizite zu sorgen. Dies ist jedoch nicht eindeutig erwiesen“, erläutert Neumann.
Die THS als künstliche Synapse weitergedacht
Lassen sich diese Nebenwirkungen noch minimieren und eine noch zielgerichtetere Behandlung finden? Das versucht Katarzyna Krukiewicz, Professorin für Physikalische Chemie und Polymertechnologien an der Schlesischen Technischen Universität im polnischen Gliwice. Sie forscht an einer anderen technischen Behandlung von Parkinson. Die Vision: Künstliche Synapsen entwickeln. Also das Mundwerk, das das Gehirn besitzt, imitieren. „Wenn wir wissen, dass eine bestimmte Nervenzelle nicht mehr richtig funktioniert, können wir versuchen, eine Art Bypass einzubauen“, erklärt Krukiewicz ihren Ansatz. Und die Idee ist nicht ganz neu: Ein schwedisches Forscherteam um Daniel Simon von der Linköping Universität lieferte im Fachjournal IEEE schon eine winzige Pumpe als Prototyp für eine künstliche Synapse. Weitere Forscher:innen um Scott Kenne von der Standford University berichteten zudem in einer Studie in nature materials über einen Synapsenersatz, bei dem sich zwischen zwei weichen Kunststoffen Botenstoffe bewegen können. So wurde die Weitergabe von Befehlen zwischen zwei Nervenzellen – die hier die beiden Kunststoffe sind – nachgebaut.
Krukiewiczs Team will nun eine winzige Kapsel bauen, die als Synapsenersatz an beschädigte Nervenzellen implantiert werden soll. Sie soll aus einem weichen Material bestehen, einem Kunststoff. Im Inneren der Kapsel sollen dann die Botenstoffe gelagert sein, so die Vorstellung der Forschenden. Der weiche Kunststoff soll elektrische Impulse empfangen und darauf reagieren können, indem er die Botenstoffe aus dem Inneren der Kapsel freigibt. Bei einer Erregung der Nervenzelle soll er zum Beispiel Dopamin ausschütten, wie eben eine natürliche Synapse – und so letztlich die Kommunikation der Nervenzellen wieder passend regulieren. Der weiche Kunststoff soll also irgendwann auch die Sprache der Nervenzellen verstehen und die Befehle an seine Nachbarzellen weitergeben können.
Dazu haben die Wissenschaftler:innen um Krukiewicz Simulationen am Computer erstellt und in Laborexperimenten untersucht, welche Materialien für ihre künstliche Synapse infrage kommen. Erste Ansätze dazu existieren schon, aber „noch kein perfekter“, erklärt Krukiewicz. Ihr Kunststoff soll nun alle wichtigen Eigenschaften vereinen: Er soll biokompatibel – also mit dem Gehirn verträglich sein – zudem elektrisch leitend und so schnell reagieren können wie Nervenzellen. Außerdem soll er möglichst immun gegen Bakterien oder andere Erreger sein, damit keine Infektionen im Gehirn entstehen. Zudem sollen die Botenstoffe durch die elektrische Stimulation an der richtigen Stelle und nur bei Bedarf freigesetzt werden. Und: Die künstliche Synapse darf nur ein paar Nanometer groß sein – wie es eben natürliche Synapsen auch sind. Der Weg zum fertigen Synapsenersatz ist also noch beschwerlich.