Unterhalb der kleinen Halbinsel Olkiluoto vor der Westküste Finnlands, 430 Meter tief im Granitgestein, soll er für immer begraben werden: der Atommüll Finnlands. Seit 2004 entsteht dort das weltweit erste Endlager für hochradioaktiven Atommüll.
Foto: 50 Kilometer Tunnel. So wird Finnlands Atommüll-Endlager aussehen. Credits: Posiva/Maisemassa Toinen.
„Onkalo“, zu Deutsch etwa „kleine Höhle“ taufte das finnische Energieunternehmen Posiva sein Projekt – eine Untertreibung, wie die Dimensionen der „kleinen Höhle“ zeigen: Über 10 Kilometer weit ziehen sich die unterirdischen Tunnel und Schächte bereits heute durch das Gestein, weitere 40 Kilometer sollen in den nächsten Jahren dazukommen. Etwa ab 2025 will der Betreiber dann mit dem Einlagern des Atommülls beginnen. Bis zu 5000 Tonnen hochradioaktiven Materials gilt es dann für mindestens 100.000 Jahre sicher vom Rest der Welt abzuschirmen: So lange dauert es, bis die Strahlung aller im Atommüll enthaltenen Elemente auf ein unbedenkliches Niveau gesunken ist.
Lagersuche startete, bevor das erste Kraftwerk ans Netz ging
Dass ein solches Monumental-Projekt nicht innerhalb weniger Jahre aus dem Boden gestampft – oder vielmehr in den Boden hineingestampft – werden kann, war den Finnen offenbar bewusst. Denn bereits im Jahr 1970, sieben Jahre bevor überhaupt das erste Atomkraftwerk in Finnland ans Netz ging, begann die finnische Regierung nach Möglichkeiten für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zu suchen: In polaren Gletschern einfrieren, im Meer versenken, mit einer Rakete ins All schießen, … Verschiedenste Wege wurden in Erwägung gezogen, jedoch alle aufgrund mangelnder Praktikabilität wieder verworfen. Als einzige Lösung für das Atommüll-Problem blieb die Einlagerung in beständigem Gestein tief unterhalb der Erdoberfläche. Überall in Finnland begann in den 1980er-Jahren die Suche nach geeigneten Endlager-Standorten.
Etwa zur gleichen Zeit machten sich unteranderem auch Schweden und Deutschland daran, potenzielle Standorte auszukundschaften. Im Gegensatz zu Finnland betrieben die beiden Länder zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits seit über zehn Jahren Atomkraftwerke, – ohne die Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle zuvor geklärt zu haben.
Hohe Anforderungen an den Standort des Endlagers
Um gewährleisten zu können, dass die radioaktiven Stoffe an einem Standort hunderttausende Jahre sicher gelagert werden können, ohne die Umwelt zu gefährden, müssen potenzielle Endlagerstätten einige Voraussetzungen erfüllen. Besonders an das sogenannte Wirtsgestein, in dem das Lager angelegt werden soll, werden hohe Anforderungen gestellt.
Belastbar und beständig muss es sein, sodass ihm weder der Zahn der Zeit, noch ein Erdbeben oder sonstige Naturkatastrophen etwas anhaben können. Außerdem sollte es möglichst undurchlässig für Wasser und Gase sein, darf keine Risse bilden. Das soll einerseits sicherstellen, dass Lagerbehälter mit den Abfällen nicht nach einigen Jahren im Gestein anfangen zu rosten, andererseits soll es eine radioaktive Kontamination des Grundwassers verhindern, sollte es zu Problemen mit den Lagerbehältern kommen. Da radioaktive Abfälle zudem große Mengen an Wärme abstrahlen, muss das Gestein zusätzlich hitzebeständig sein und die Wärme im Idealfall auch gut ableiten können.
Nur drei Gesteinsarten kommen für ein Endlager in Frage
Nur drei Arten von Gesteinen werden diesen Anforderungen am ehesten gerecht: Ton, Salz und Granit. Keines der Gesteine erfüllt jedoch alle Voraussetzungen gleichermaßen.
- Tongestein ist gut verformbar, sodass ich im Fall eines Erdbebens keine Risse im Gestein bilden. Zudem ist es kaum wasserlöslich und besitzt die Fähigkeit radioaktive Teilchen aufzunehmen. Im Vergleich zu anderen Gesteinen ist Ton jedoch weniger stabil und leitet Wärme schlecht ab.
- Das wiederum ist ein Pluspunkt des Salzgesteins. Es ist ein sehr guter Wärmeleiter und noch verformbarer als Ton. Wie jedoch bereits das Atommüllendlager Asse in Niedersachsen bewies, kann dafür die Wasserlöslichkeit des Gesteins große Probleme verursachen. Nach Wassereinbrüchen müssen dort nun 130.000 Fässer mit radioaktiven Abfällen aus einem ehemaligen Salzbergwerk geborgen werden.
- Das letzte der drei Gesteine, Granit, zeichnet sich besonders durch seine hohe Stabilität und Belastbarkeit aus, bildet jedoch mit höherer Wahrscheinlichkeit Risse oder ist stark zerklüftet. Dafür ist es sehr hitzebeständig und kaum wasserlöslich. Kurzum: Es gibt gute, aber keine perfekten Kandidaten für ein Endlager.
Das Gestein allein macht noch keinen Standort
Wie sehr sich die Vor- und Nachteile eines Gesteins auswirken, hängt darüber hinaus immer auch von den anderen Eigenschaften eines Standortes ab. Die Eignung muss daher im Kontext vieler weiterer Faktoren beurteilt werden: Liegt der Standort in einem Erdbebengebiet? Gibt es Vulkane in der Nähe? Wo fließt das Grundwasser? Wie wird sich das Klima in den kommenden Jahrtausenden verändern? All das sind Fragen, die berücksichtigt werden müssen.
Finnische Regierung wählt Olkiluoto als Standort
Nach der Beurteilung der Standorte anhand dieser und vieler weitere Kriterien blieben 1990 in Finnland nur vier mögliche Standorte übrig; einer davon die Insel Olkiluoto, die sich besonders durch ihre abgeschiedene Lage und das robuste Granitgestein im Untergrund ausgezeichnet. Zudem waren auf der Insel in den 80er Jahren bereits die beiden größten finnischen Atomkraftwerke in Betrieb gegangen, sodass für den durch sie verursachten Atommüll keine langen Transportwege notwendig werden würde.
So entschied sich die finnische Regierung dann bereits im Jahr 2000 endgültig für diesen Standort. Damit war Finnland weltweit das mit Abstand erste Land, dass sich auf einen Endlager-Standort festlegte. In anderen Ländern dauert die Suche auch über 20 Jahre später noch an. In Deutschland beispielsweise soll die Entscheidung erst im Jahr 2031 fallen. Der entscheidende Unterschied: Anders als Deutschland, hatte Finnland nie nach dem besten aller möglichen Standorte gesucht, sondern lediglich nach einem geeigneten.
Finnland hält vorerst and er Atomkraft fest
Kritik an dem Vorhaben gab es seitdem nur sehr vereinzelt. In der Gegend um den Standort Olkiluoto dürfte das jedoch auch daran liegen, dass TVO, ein Mutterkonzern des Betreibers Posiva, der größte Arbeitgeber ist und für einen Großteil der Steuereinnahmen in der Region sorgt. Doch auch im Rest des Landes stehen die Finnen der Atomkraft deutlich positiver gegenüber als die Menschen in vielen anderen Ländern Europas. Einen Ausstieg aus der Atomenergie plant in Finnland derzeit niemand.
Im Gegenteil: Neben den zwei bestehenden Atomreaktoren in Olkiluoto soll schon im Jahr 2022 ein weiterer ans Netz gehen, weitere befinden sich an anderen Stellen im Bau. Doch auch Finnland setzt nicht langfristig auf Atomstrom. Vielmehr sei die Atomkraft eine Brückentechnologie, um das Land bis zum Jahr 2035 vollständig CO2-neutral zu machen, heißt es von der finnischen Regierung. Bis man die erneuerbaren Energien weit genug ausgebaut hätte, solle die Atomkraft als Ersatz für die fossilen Energieträger Teil des Energiemix bleiben, sagt die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin.
Endgültige Versiegelung des Endlagers erst in 100 Jahren
Diese Strategie wurde auch bei der Konzeption des Endlagers in Olkiluoto berücksichtigt: Aktuell plant der Betreiber das Lager bis ins Jahr 2120 offen zu halten, sodass dort bis dahin radioaktive Abfälle, hauptsächlich Brennstäbe aus den finnischen Kernkraftwerken, deponiert werden können. Die Frist muss so großzügig ausfallen, da die hochradioaktiven Brennstäbe aus den Kernreaktoren zunächst für etwa 40 Jahre oberirdisch lagern müssen. Erst nach dieser Zeit sind die Brennstäbe soweit abgekühlt und haben einen so großen Teil ihrer Strahlkraft verloren, dass sie ins Endlager überführt werden können. Bis Finnland also in unbestimmter Zukunft seine Kernreaktoren endgültig abschaltet, wird weiterhin neuer Müll entstehen, der erst 40 Jahre später im Endlager deponiert werden kann.
Das Lager soll außerdem offen bleiben, damit es in den nächsten 100 Jahren möglich bleibt, deponierten Müll aus dem Lager zu bergen, etwa wenn sich das Lager aus unerwarteten Gründen als untauglich erweisen sollte oder bahnbrechende Methoden zur Wiederaufbereitung der Brennstäbe gefunden würden.
Mehrere Barrieren sollen Atommüll sichern
Noch liegt das Jahr 2120 aber noch in weiter Ferne, sodass aktuell die weitaus wichtigere Frage ist: Wie kann der hochradioaktive Müll unter der Erde sicher gelagert werden? Hierfür plant der Betreiber ein System aus mehreren, sich ergänzenden Schutzbarrieren. Die größte und wichtigste Barriere ist natürlich das Endlager selbst: Geologen schätzen das Alter des Gesteins, in den „Onkalo“ hineingebaut wurde auf etwa zwei Milliarden Jahre. Hier habe sich seit Millionen von Jahren nichts verändert und das werde es auch in Zukunft nicht, heißt es vom Betreiber Posiva. Auch zahlreiche Eiszeiten hätte das Gebiet in der Vergangenheit bereits überstanden.
Bevor die Brennstäbe ihren Weg vom oberirdischen Zwischenlager in die „kleine Höhle“ antreten, werden je vier Stäbe in einer eigens dafür konstruierten Abfallkonditionierungsanlage in tonnenschwere Behälter aus Gusseisen eingekapselt. Um diesen kommt dann als Korrosionsschutz ein weiterer Behälter aus fünf Zentimeter dickem Kupfer. Anschließend werden die Behälter 400 Meter tief hinab in das Endlager gebracht. Dort erhält jeder der Behälter ein eigenes Bohrloch in einer der über 100 Kammern des Tunnelsystems. Die Freiräume um jeden Behälter werden anschließend mit Betonit aufgefüllt, einer Mischung aus verschiedenen Tonmineralien, die in der Lage ist, große Mengen an Wasser aufzunehmen. Sind alle Löcher einer Kammer belegt, wird auch die gesamte Kammer mit Blöcken aus komprimiertem Betonit gefüllt. Im Video des Betreibers Posiva wird gezeigt, wie das einmal aussehen soll.
Noch immer bleiben viele Fragen ungeklärt
Wie gut dieses System in der Praxis funktionieren wird, lässt sich gegenwärtig kaum abschätzen. Niemand kann wissen, wie sich die Verhältnisse in den kommenden 100.000 Jahren verändern werden. Zwar versuchen Wissenschaftler bereits heute in einem der Tunnel die Lagerungsbedingungen so gut wie möglich nachzubilden, um beispielsweise die Rostbeständigkeit der Kupferbehälter zu testen. Diese Versuche laufen allerdings gerade einmal seit 20 Jahren – ein Bruchteil der notwendigen Lagerdauer. Vieles läuft daher über Computer-Simulationen und wissenschaftliche Vorhersagemodelle.
So hängt zum Beispiel die Frage, ob Finnland eine neue Eiszeit erleben wird, laut Experten maßgeblich davon ab, inwiefern die Menschheit es schafft, ihre Treibhausemissionen zu reduzieren: Blieben die Emissionen auf ihrem aktuell hohen Niveau, käme Finnland wahrscheinlich darum herum. Würden die Emissionen jedoch in den nächsten Jahren im angestrebten Maße fallen, könnte über dem Endlager schon in 50.000 Jahren eine massive Eisschicht entstehen, die das Gestein schädigen könnte. Ob sich die „kleine Höhle“ in Finnland bewähren wird? Wir werden es wohl nie erfahren. Denn die Halbwertszeit des Atommülls übersteigt die unsere bei Weitem.