Der slowenische Mathematiker Jurij Vega revolutionierte im 18. Jahrhundert Bereiche der Mathematik. Drei Jahrhunderte später will Slowenien mit einem nach ihm benannten Supercomputer die slowenische Computerwissenschaft voranbringen.
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17,2 Millionen Euro teuer, 69.000 Mal schneller als ein handelsüblicher Computer und mit einem großen Namen getauft, trat Sloweniens erster Supercomputer „Vega“ im April 2021 seinen Dienst an. Er soll mit seiner Rechenpower komplexe und anspruchsvolle Probleme lösen. Eine Herausforderung, die sein Namensgeber, der Mathematiker Jurij Vega, zu seinen Lebzeiten wie kein zweiter gemeistert hat.
Jurij Vegas mathematisches Talent soll sich bereits in der Lateinschule der Jesuiten in Laibach, dem heutigen Ljubljana, abgezeichnet haben. Dass er überhaupt eine Schule besuchte, war alles andere als selbstverständlich. Denn der im Jahr 1754 geborene Vega stammte aus einer einfachen Bauernfamilie aus dem Krainer Land. Dass er die Schule sogar als Klassenbester abschloss, verdankte er seiner Begabung und seinem Mathematiklehrer, der diese sah und auch finanziell unterstützte.
Vega stellte Rechenrekorde auf
Mit 26 Jahren beginnt er seinen Militärdienst der Offiziersschule in Wien, wird schließlich aber nicht zum Soldaten, sondern zum Lehrer für Mathematik an Schulen des österreichischen Artilleriecorps ernannt. Aus Unzufriedenheit mit dem Lehrmaterial macht er sich selbst ans Werk und verfasst das Unterrichtswerk „Rechenkunst und Algebra“. Einfach und verständlich formuliert, wurde es ein Erfolg, weil es auch wenig vorgebildeten Unteroffiziere oder Kanonieren eine mathematische Grundausbildung ermöglichte.
Für Vega selbst hingegen kann Mathematik nicht kompliziert genug sein: Mit der Berechnung der Kreiszahl π auf 140 Stellen, stellte er 1789 einen neuen Rechenrekord auf, der mehrere Jahrzehnte hielt, bis man feststellte, dass 126 Stellen davon stimmten. 1783 veröffentlichte Vega sein wohl bekanntestes Werk überhaupt: ein Tafelwerk mit siebenstelligen dekadischen Logarithmen. Die Besonderheit dieses Tafelwerkes bestand darin, dass es alle bisherigen Tafeln an Korrektheit übertraf.
Sloweniens stärkster Computer geht ans Netz
Solchen Rekorden eifert nun Vegas moderner Nachfahre nach. Seit Ende April 2021 nämlich ist „Vega“, der erste European High Performance Computing (EuroHPC) Supercomputer und der größte Supercomputer Sloweniens, funktionstüchtig. Zu Hause ist „Vega“ im Institute of Information Science Maribor. Slowenien hat ihn gemeinsam mit der Europäischen Union für 17,2 Millionen Euro angeschafft.
„Vega“ ist eins von acht, teils geplanten, teils schon in Betrieb gegangenen, High-Performane-Computing-Zentren in der EU. High Performance Computing, kurz HPC, bezeichnet Rechensysteme mit extrem hoher Rechenleistung, die in der Lage sind, äußerst komplexe und anspruchsvolle Probleme zu lösen.
International eher eine kleine Nummer
Anders als zu Jurij Vegas Zeiten, wird Rechenleistung heute nicht mehr an korrekt berechneten Stellen nach dem Komma festgemacht, sondern in Petaflops gemessen: „Vega“ ist ein 6,9 Petaflops-Supercomputer, das heißt, dass er 6,9 Millionen Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde ausführen kann. Damit ist „Vega“ ungefähr 69.000-mal schneller als ein handelsüblicher Computer. Das macht „Vega“ zum leistungsfähigsten Computer in Slowenien.
Buch über die Supercomputer weltweit führt „TOP500“. Das Ranking listet die beiden Teile von „Vega“ im Juni 2021 auf Platz 106 und 134 der Supercomputer weltweit; mit ihren zusammengenommenen 6,9 Petaflops würde sie etwa auf Platz 60 landen. Der mit Abstand größte ist der „Supercomputer Fugaku“ in Japan – mit 442 Petaflops. Der größte europäische Supercomputer, das „Juwels Booster Module“ mit 44,1 Petaflops, steht in Deutschland am Forschungszentrum Jülich.
Die 10 schnellsten Computer der Welt
Rang | Name | Rechenkapazität Petaflops | Standort | Organisation |
1 | Fugaku | 442 | Japan | RIKEN Center for Computational Science |
2 | Summit | 148,6 | USA | Oak Ridge National Laboratory |
3 | Sierra | 94,6 | USA | Lawrence Livermore National Laboratory |
4 | Sunway TaihuLight | 93 | China | National Supercomputing Center in Wuxi |
5 | Perlmutter | 64,6 | USA | National Energy Research Scientific Computing Center |
6 | Selene | 63,5 | USA | NVIDIA Corporation |
7 | Tianhe-2A | 61,4 | China | National Supercomputing Center in Guangzhou |
8 | Juwels Booster Module | 44,1 | Deutschland | Forschungszentrum Jülich |
9 | HPC5 | 35,4 | Italien | Forschungszentrum des Eni S.p.A. |
10 | Frontera | 23,5 | USA | Texas Advanced Computing Center der Universität von Texas |
Stand: Juni 2021; Quelle: TOP500
Der exakteste seiner Zeit
Zu Jurij Vegas Lebzeiten war an rechnende Maschinen nicht zu denken. Berechnungen wurden von Menschen angestellt – und Vega half ihnen dabei. Nach seinem Vorlesungsband „Rechenkunst und Algebra“ veröffentlicht er Bände zu Themen der höheren Mathematik: Mechanik der festen Körper, Hydrodynamik, Stereometrie, Anfangsgründe der Differential- und Integralrechnung, ebene und sphärische Trigonometrie und Planimetrie.
Zehn Jahre später folgt sein „Logarithmisch-trigonometrische Handbuch“, indem Vega auf fast 400 Seiten die Logarithmen der natürlichen Zahlen von 1 bis 101000 sowie die der trigonometrischen Funktionen für Winkel zwischen 0° und 45° mit einer Schrittweite von 10 Bogensekunden niederschrieb. Dabei war er so exakt, wie niemand vor ihm. Für die Exaktheit der Tafeln machte er sich Vega den Ehrgeiz seiner Schüler zu Nutze: Jedem Soldaten der einen Fehler entdeckte, schenkte er eine Belohnung von einem Golddukaten und spornte sie so zu mathematischen Höchstleistungen an.
Für internationale Projekte gerüstet
Bei Vega, dem Supercomputer, sind die Rollen heute vertauscht. Mit seiner Rechenpower ist er der „Dienstleister“ für Forschende aus dem öffentlichen und industriellen Sektor in ganz Europa. Slowenien selbst will mit Vega global wettbewerbsfähig werden, in Bereichen, die hohe Rechenkapazitäten erfordern: beispielsweise in der künstlichen Intelligenz, der personalisierten Medizin, im Kampf gegen den Klimawandel, der Hochleistungsdatenanalyse, im Bio-Engineering, Medikamenten- und Materialdesign.
Seine Rechenpower steht aber auch anderen Nutzerinnen und Nutzern aus Europa offen, so soll die Zusammenarbeit an internationalen Projekten gefördert werden. Für solche Kooperationen ist Vega technisch speziell gerüstet. Seine große Bandbreite mit Geschwindigkeiten von bis zu 500 Gbit pro Sekunde ermöglicht es, große Datenmengen zu anderen nationalen und internationalen Rechenzentren zu transferieren.
Erster Einsatz in der Batterieentwicklung
Das erste grenzübergreifende Projekt von „Vega“ steht bereits in den Startlöchern: Der schwedische Batteriekonzern Northvolt greift ab Herbst 2021 auf Vegas Rechenkapazitäten zu. Die Batterieentwicklung und -produktion benötigt fast zwei Millionen Kernstunden an Supercomputing-Leistung, um realistische Simulationen der Elektrochemie für die Batterieentwicklung durchzuführen. Mit einem herkömmlichen Computer wäre das nicht machbar.
Langfristig will Northvolt, einer der weltweiten Marktführer auf dem Gebiet der Batterieproduktion und -entwicklung, so mit Vegas Hilfe einen Beitrag zur Elektromobilität und Reduktion der CO2-Emissionen im Verkehrssektor leisten.
Jurij Vega – das Leben von Sloweniens Mathegenie
Geburt
1754 wird Vega in Zagorica pro Dolskem im Krainer Land geboren.
Schulzeit
Obwohl er aus einer Bauernfamilie stammte und sein Vater starb, als Jurij gerade einmal sechs Jahre alt war, besuchte Jurij die Lateinschule Laibach – dem heutigen Ljubljana, Hauptstadt Sloweniens. Er schloss als Klassenbester ab. Unterstützt wurde er durch seinen Mathematiklehrer, der seine mathematische sah.
Offiziersschule
1970 ging Jurij mit 26 Jahren an die Offiziersschule in Wien. An der er vier Jahre später als Unterleutnant zum Mathematiklehrer und später Hauptmann und Professor wird. Aus Unzufriedenheit über die Lehrmaterialien entwickelt er für seine Vorlesungen eigene Werke, die aufgrund der einfachen Sprache zum Erfolg wurden: „Rechenkunst und Algebra“ erschien 1782 mit einer Startauflage von 1500 Exemplaren – eine hohe Auflage für die damalige Zeit.
Weitere Werke
In den darauffolgenden Jahren veröffentlicht Vega weitere Bände mit Themen aus der höheren Mathematik: Mechanik der festen Körper, Hydrodynamik, Stereometrie, Anfangsgründe der Differential- und Integralrechnung, ebene und sphärische Trigonometrie und Planimetrie. Sieben Mal wird das vierbändige Werk bis 1850 aufgelegt.
Logarithmische Tafeln
Zehn Jahre später folgt sein wichtigstes Werk: das „Logarithmisch-trigonometrische Handbuch – Anstatt der kleinen Vlackischen, Wolfischen und anderen dergleichen, meistens sehr fehlerhaften, logarithmisch-trigonometrischen Tafeln, für die Mathematikbeflissenen eingerichtet“. Auf fast 400 Seiten hat Vega die Logarithmen der natürlichen Zahlen von 1 bis 101000 sowie die der trigonometrischen Funktionen für Winkel zwischen 0° und 45° mit einer Schrittweite von 10 Bogensekunden niedergeschrieben. Die Vegas Tafeln blieben jahrzehntelang die genauesten ihrer Art. Die zweite Auflage widmete Jurij seinem Mathematiklehrer, der ihn zu Schulzeiten gefördert hatte.
Tod
1802 wurde Vega tot in der Donau bei Nußdorf gefunden. Erst Jahre später stellte sich heraus, dass es nicht, wie angenommen um einen Unfall handelte, sondern dass ihn ein Hausknecht eines Wirtes in Spitz an der Donau ermordet hatte.
Gedenken
In Slowenien wird jährlich der Vega-Preis in einem Wettbewerb an Nachwuchs-Mathematikerinnen und -mathematiker verliehen. Bis zur Einführung des Euros war Jurij Vegas Porträt auf dem 50-Tolar-Schein zu sehen. Sloweniens erster Supercomputer „Vega“ wurde nach ihm benannt.