Ihr Schwinden hat Konsequenzen für die Ozeane, Tiere und Menschen – es geht um eine eigentlich unscheinbare Wasserpflanze: Seegras. Forschende in Portugal haben deshalb versucht, ganze Unterwasser-Wiesen wieder neu zu bepflanzen. Aber können zerstörte Ökosysteme im Meer überhaupt wieder hergestellt werden?
Foto: Seegraswiesen sind wichtige Ökosystem. Credits: Unsplash/Benjamin L. Jones
Riesige Flächen aus grünen Halmen, die sich mit den Wellen und Strömungen wiegen: Seegraswiesen gibt es beinah weltweit, meist in flachen Gewässern vor den Küsten und in Flussmündungen. Als „Foundation Species“ bereitet Seegras die Basis für eins der wertvollsten Ökosysteme auf dem Planeten, denn sie schaffen Lebensraum für andere Arten wie Einzeller, Fische, Algen. Die dichten Wiesen bieten Schutz für Jungtiere, kleine Krabben und Garnelen. Ganze marine Nahrungsketten sind auf die maritimen Vorgärten angewiesen: Fische jagen in den Wiesen und bedrohte Arten wie Schildkröten und Seekühe grasen daran. Sie erfüllen für die Küsten und die dort lebenden Tiere wichtige Funktionen.
Aber auch für Menschen sind sie wichtig: Sie betreiben Photosynthese – das heißt, sie binden Kohlenstoffdioxid und produzieren Sauerstoff, filtern das Wasser und schützen die vor Erosion und Stürmen. Nicht zuletzt sind sie für den Fischerei-Sektor durch ihren Fisch- und Artenreichtum wichtig.
Sieben Prozent Schwund pro Jahr
Doch weltweit werden die Seegraswiesen seit Jahrzehnten weniger. Beim Schwinden der Unterwasser-Wiesen stellen Eingriffe des Menschen dabei laut einer Studie aus dem Fachjournal Biological Conservation von 2011 den größten Faktor da. Der Bau von Hafenanlagen oder Landneugewinnung verdrängen Seegraswiesen. Anker und Schiffsschrauben reißen Narben in die Flächen. Und auch die Klimakrise bedroht Seegraswiesen durch steigende Wassertemperaturen und Extremwetterereignisse wie Hurrikans und Tsunamis. Zudem begünstigen Dünger und Umweltverschmutzung Algenblüten, die die Seegräser vom Sonnenlicht abschirmen. So fehlt das Licht, dass die Pflanzen benötigen, um Photosynthese zu betreiben und Nährstoffe für sich zu produzieren.
Wie groß die verlorenen Seegraswiesen genau sind, ist schwierig zu ermitteln. Denn die Messungen im Wasser sind oft schwierig und manche Regionen sind bisher wenig oder gar nicht untersucht. Darauf weist eine Metastudie von 2008 hin, die 215 Studien über Seegras zusammenfasst. Dennoch geben die Autor:innen die Schätzung ab, dass seit 1990 pro Jahr im Mittel sieben Prozent der Seegraswiesen verschwinden. Außerdem werden die Verluste über die Jahre demnach immer größer. 1940 beispielsweise lag der jährliche Seegraswiesen-Schwund nur bei rund 0,9 Prozent. Die Autor:innen der Studie schätzen, dass von 1879 bis 2006 weltweit insgesamt etwa 51 000 Quadratkilometer Seegraswiesen verschwunden sind – das ist eine Fläche, etwa so groß wie Niedersachsen. Seegraswiesen sind für sie damit eins der bedrohtesten Ökosysteme auf der Erde.
Blaupause für den Ernstfall schon in den 1930ern
Und das hat Konsequenzen: Fische, Schnecken und andere Meereslebewesen verlieren Schutzräume, bedrohte Arten Seekühe und Schildkröten finden kaum mehr Nahrung, die Küsten-Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht und auch uns Menschen trifft der Verlust der Seegraswiesen – zum Beispiel durch eine verminderte Wasserqualität.
Solche drastischen Auswirkungen davon zeigten sich schon in den 1930er-Jahren. Damals zerstörte ein Schleimpilz beinah gänzlich die Seegras-Art Zostera marina in Europa und Nordamerika. Das hatte verheerende Auswirkungen auf die Ökosysteme, zum Beispiel in Lagunen vor der Küste des US-Bundesstaates Virginia. Die Wasservogel-Populationen sanken dort damals dramatisch ab und Jakobsmuschel-Fischereien wurden zerstört. Eine Meeresschnecken-Art, die auf den Seegräsern gelebt hatte, starb komplett aus.
Seegraswiesen schwinden auch in Portugal
In Europa ist zwischen 1869 und 2016 ein Drittel des Seegrasbestands verschwunden – besonders rasant in den 1970er-Jahren. Das schreibt eine Studie von 2019 aus dem Fachjournal Nature Communications. Die größten Verluste verzeichneten laut den Autoren der Studie die beiden Seegras-Arten Cymodocea nodosa und Zostera marina. Beide Arten sind auch vor Portugals Küsten zu finden. Dort wachsen genetisch einzigartige Wiesen, denn nördliche Seegrasarten, die sich bis nach Norwegen erstrecken, treffen dort auf südliche Arten, die auch vor Afrikas Küsten wachsen. Drei der vier in Europa heimischen Seegrasarten sind so an der portugiesischen Küsten zu finden.
Doch auch hier sinkt der Seegrasbestand seit Jahrzehnten. Besonders bedroht ist auch hier die Zostera marina. Das berichten Forscher:innen vom Portugiesischen Zentrums für Meereswissenschaften (CCMAR) in einem Fachartikel aus dem Jahr 2014. Die Forschenden schreiben, dass durch das Schwinden der Seegraswiesen die Biodiversität, Wasserqualität und dadurch auch die Fischbestände abnehmen – unter anderem trage das auch zur Verarmung von Portugals Küstenfischereien bei. Da die portugiesischen Küsten außerdem nicht mehr so gut vor Erosion geschützt seien, spülen die Wellen Sand von den Stränden ins Meer.
Aufforstung im Meer
Weltweit gibt es deshalb Versuche, den brachliegenden Meeresboden wieder mit Seegras zu bepflanzen. Aber können die zerstörten Ökosysteme überhaupt wiederhergestellt werden? Im Professor Luiz Saldanha Meerespark, einem Schutzgebiet im Naturpark Arrábida, versuchten Forschende seit 2007 den Meeresboden neu zu bepflanzen. Der Naturpark liegt in der Nähe von Lissabon und ist mit 17.000 Hektar bewaldetem Gebirge, weißem Kalkstein und Sandstränden eine Touristen-Attraktion. Die Seegraswiesen im Schutzgebiet wurden beinah komplett durch Fischerei und Vergnügungsschifffahrt zerstört. Unter der Leitung des Portugiesischen Zentrums für Meereswissenschaften (CCMAR), einer Non-Profit-Organisation der Universität der Algarve, versuchen Forschende die Aufforstung im Meer seit 2007 im Projekt Biomares.
Die Forschenden testeten verschiedene Methoden, um Wiesen-Stücke aus anderen Arealen in das Schutzgebiet zu transplantieren. Das funktionierte zuerst nicht, die Strömungen vor der Küste waren zu stark. Eisenrahmen, die verwendet wurden, um die Pflanzen zu stabilisieren, verletzen die Wurzeln der Seegräser. Sie wechselten die Methode und pflanzten kleine Stücke Grasnarbe in den Meeresboden, sogenannte Soden. Das Ergebnis stimmte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffnungsvoll: Die Seegraswiesen gediehen.
Und dann kam der Winter vom Jahr 2009 auf 2010. Winterstürme aus dem Süden überzogen die Seegraswiesen mit Sand und Trümmern. Sediment färbte das Wasser dreckig braun und schnitt die Seegräser von der Sonne ab. Fische fraßen die meisten überlebenden Pflanzen. “Nach dem katastrophalen Winter lebten im März 2010 nur noch einige wenige Seegras-Triebe”, berichten die Forschenden in einem Fachartikel aus dem Jahr 2011. Auch im Folgeprojekt von Biomares bereiteten Sand und Steine, Fische und Algenblüten den Forschenden weiterhin Probleme, aber eine im Frühjahr 2010 gepflanzte Seegraswiese war bis 2018 von 11 auf 103 Quadratmeter gewachsen. Dennoch schrieben die Forschenden in einem Fachartikel, dass die extreme Energie der Wellen es schwer mache, die Seegraswiesen zu etablieren.
Projekte in ganz Europa waren wenig erfolgreich
Die Forschenden in Portugal waren nicht die einzigen, deren Projekt zur Wiederherstellung von Seegraswiesen sich als schwierig herausstellte. Forschende aus ganz Europa trafen sich 2010 in Portugal beim European Seagrass Restoration Workshop aus: Fast alle Projekte waren wenig erfolgreich. Auch eine Meta-Studie aus dem Jahr 2016 beschreibt eine Überlebensrate für neu gepflanztes Seegras, die sogar geringer sei als die für Pflanzungen von Mangrovenwäldern, Austernriffe, Korallenriffe oder Salzmarschen. Sie ergänzen außerdem, dass negative Studien teilweise nicht publiziert worden sein könnten und der Erfolg der Neupflanzungen damit sogar noch geringer sein könnte.
Regeneration und schädliche Einflüsse reduzieren
Die Forschenden formulierten in dem Workshop Empfehlungen für das Vorgehen in der Zukunft. Sie priorisierten dabei das natürliche Potenzial der Pflanzen, sich zu regenerieren. Die Studie im Fachjournal Nature Communications berichtete, dass das tatsächlich möglich ist: Inzwischen sei an manchen Stellen wieder Zuwachs zu beobachten – hauptsächlich aufgrund indirekter Maßnahmen wie zum Beispiel der Verbesserung der Wasserqualität. Wiederbepflanzung hingegen sollte nie die erste Option sein. Falls sie doch notwendig ist, müssten davor zunächst genug Recherche betrieben und schädliche Einflüsse auf die Seegraswiesen reduziert werden.
Eine Studie von 2015 aus dem Journal of Applied Ecology analysierte weltweit 1786 Versuche, Seegras neu zu pflanzen. Auch sie kommen zu dem Schluss, dass es wichtig ist, zunächst schädliche Einflüsse und Bedrohungen auf das Seegras zu entfernen. Erst dann solle das Seegras gepflanzt oder transplantiert werden. Entscheidend sei zudem ein Minimum an Pflanzen. Es sei besonders wichtig, große Mengen an Samen oder Pflanzen in das neue Gebiet zu pflanzen. Und auch die Forschenden in Portugal schrieben in ihrem Artikel von 2019, dass sie am meisten Erfolg mit einer großen, transplantierten Fläche hatten.
Neue Seegraswiesen vor US-Küste lassen hoffen
Neuere Studien machen Hoffnung, dass die Wiederbepflanzung von Seegraswiesen dann tatsächlich möglich ist. Beispielsweise eine Studie aus den USA, die sich mit Küstenlagunen im US-Bundesstaat Virginia beschäftigt hat. Dort war die Seegras-Art Zostera marina in den 1930er-Jahren komplett verschwunden. Seit 1999 wurden dort über 70 Millionen Samen dieser Seegras-Art in den Lagunen verteilt. 2020 berichten die Forschenden dann im wichtigen Fachjournal Science: In den Lagunen wachsen inzwischen wieder 3612 Hektar Seegras – das entspricht in etwa der Größe der nordfriesischen Insel Pellworm.
Das Wasser ist klarer, die Strömungen langsamer, die Artenvielfalt höher und die Seegraswiesen binden Stickstoff und Kohlenstoffdioxid. Die Autoren der Studie führen ihren Erfolg auf verschiedene Faktoren zurück: die großflächige Neubepflanzung des brachliegenden Bodens, der lange Zeitraum der Anstrengungen und die positiven Rückkopplungen, die durch die Neubepflanzung entstanden. Das Seegras profitiert auch vom eigenen, wertvollen Ökosystem.