Die Schweizer haben es erfunden: 1943 hat der Basler Chemiker Albert Hofmann die bewusstseinsverändernde Wirkung von Lysergsäurediethylamid entdeckt – heute besser bekannt als die Partydroge LSD. Aber in der chemischen Verbindung steckt auch medizinisches Potenzial. Eine Ausnahmebewilligung ermöglicht Schweizer Forschenden die Arbeit mit diesen bewusstseinsverändernden Substanzen. Dr. Friederike Holze ist Wissenschaftlerin am Universitätsspital in Basel in der Schweiz. Dort will sie herausfinden, ob die Drogen Menschen mit psychischen Krankheiten heilen können.
Foto: Wer LSD nimmt, sieht häufig veränderte Farben. Credit: Unsplash/Possessed Photography
Frau Holze, was ist LSD und wie wirkt es?
LSD ist eine Droge, die synthetisch hergestellt wird. Der Hauptbestandteil wird aus dem Mutterkornpilz gewonnen. Dieser befällt als Parasit verschiedene Getreide und Gräser, zum Beispiel Roggen, und ist super giftig. Durch chemische Veränderungen wird daraus dann LSD hergestellt.
Für die Wirkung werden wenige Mikrogramm oral verabreicht. Damit erreichen wir sehr starke, bewusstseinsverändernde Wirkungen, die durch die Stimulierung des Serotonin-Systems, ein Botenstoff im Gehirn, entstehen.
Was löst das bei den Teilnehmenden Ihrer Studien aus?
Zum einen gibt es die Veränderungen des Sehens. Menschen, die LSD eingenommen haben, berichten zum Beispiel, dass sie Lichter und viele Farben sehen. Manche nehmen auch die klassischen Mandala-Formen wahr, die man sieht, wenn man LSD mal bei Google eintippt.
Es gibt auch Veränderungen des Hörens. Laute werden anders wahrgenommen. Leise Geräusche wirken dann unter Umständen viel lauter. Musik, die man bei einem LSD-Trip hört, verändert das, was man sieht. Das kann sehr positive oder sehr negative Wirkungen auf die Probanden haben. Zu den positiven zählt zum Beispiel Euphorie. Ein Gefühl von allumfassender Liebe.
In der Medizin sollen die bewusstseinsverändernden Wirkungen von LSD gezielt genutzt werden.
Dr. Friederike Holze, Universitätsspital Basel
Negativ kann dagegen ein Gefühl der Fremdbestimmung sein. Oder Unwohlsein, sowohl psychisch als auch körperlich, in Form von Übelkeit. Aber auch Ängste können von LSD hervorgerufen werden, wie die Angst vor dem, was mit einem passiert.
Ein weiterer Effekt kann sein, dass es einem nicht mehr möglich ist, Taten und Aussagen von anderen Leuten korrekt einzuordnen. Wenn dann jemand sagt „Alles ist gut“, versteht man überhaupt nicht mehr, was „gut“ überhaupt heißt.
Schließlich kann es auch noch sogenannten Gottes- oder Glaubenserfahrungen kommen. Dabei kann es passieren, dass sich Leute zum Beispiel mit einer höheren Instanz verbunden fühlen oder ein weißes Licht sehen. In der Medizin sollen diese bewusstseinsverändernden Wirkungen gezielt genutzt werden.
Wie setzen Sie LSD in der Therapie ein?
Man kann das LSD wie eine Art Katalysator oder Löser bezeichnen, der bei Menschen mit psychischen Erkrankungen Prozesse anstößt, die man oft allein mit Psychotherapie oder klassischen Medikamenten nicht auslösen kann. Man kann jedoch nie genau voraussagen, wie der Stoff bei einem Patienten wirkt. Deshalb verwenden wir LSD nur ergänzend zu einer Psychotherapie, also in einer substanzassistierten Therapie. In unserer Studie haben wir Patienten mit Angsterkrankungen im Abstand von sechs Wochen zweimal mit einer hohen Dosis LSD behandelt. Das war in eine Psychotherapie eingebettet und die Patienten wurden vorher untersucht, ob sie auch für die Studie geeignet sind. Zusätzlich gab es ein Vorgespräch mit einem Therapeuten, Psychologen oder Psychiater.
Wie läuft die Behandlung mit LSD ab?
Die Patienten sind zehn bis zwölf Stunden auf ihrem LSD-Trip. Dabei werden sie die ganze Zeit von ihrem Therapeuten unterstützt. Besonders, wenn ein Patient eine schwierige Phase hat, in der etwas Emotionales hochkommt, wird er dabei begleitet und der Therapeut kann ihm helfen, diesen Prozess zu durchlaufen. In der Therapie möchte man diesen Prozess in der Regel nicht abbrechen, auch wenn er negativ verläuft. Die Therapeuten achtet deshalb darauf, dass den Patienten dabei nichts passiert und sie sich in einem sicheren Umfeld befinden. Anschließend gibt es Psychotherapiesitzungen, in denen besprochen wird, was der Patient während des Trips erlebt hat, und man versucht, es gemeinsam einzuordnen.
Bei welchen psychischen Erkrankungen wird LSD derzeit erprobt?
In unserer Studie konnte eine langanhaltende und bemerkenswerte Verringerung von Angstsymptomen und Depressionen festgestellt werden. Das bedeutet aber noch nicht, dass das schon direkt als Therapie eingesetzt werden kann. Dafür müssen wir zum Beispiel herausfinden, welches Therapieschema sicher ist und am besten wirkt. Die Forschung steht also noch am Anfang. Wir können nur sagen: Es sieht so aus, als könnte die substanzassistierte Therapie mit LSD einen positiven Effekt haben.
In einer anderen Studie untersuchen Forscher aktuell einen positiven Einfluss bei Cluster-Kopfschmerz. Das ist eine neurologische Erkrankung, für die es bislang nur wenige Behandlungsansätze gibt.
Welche Nebenwirkungen beobachten Sie?
Bei Nebenwirkungen, die länger anhalten, unterscheidet man in zwei große Themen. Zum einen gibt es die Flashbacks. Dabei sind die Effekte vom LSD abgeklungen, aber durch einen Trigger (Englisch: Auslöser) kann man sich dann nochmal kurzzeitig so fühlen wie in diesem Moment. Auslöser kann zum Beispiel die Musik sein, die man beim Trip gehört hat. Das muss nicht unbedingt für jeden ein schlechtes Gefühl sein. Da dieser Effekt aber unerwünscht auftritt, spricht man hier von Nebenwirkungen.
Andere Nebenwirkungen können längerfristige Wahrnehmungsverzerrungen sein. Zum Beispiel, dass man immer noch Muster sieht, wenn man auf den Boden guckt, oder wie eine Art Schneegestöber, wenn man in die Ferne schaut. Das kommt aber sehr selten vor, daher gibt es dazu noch nicht viele Daten.
Kann davon abhängig werden?
Man spricht bei LSD nicht von einer körperlichen Abhängigkeit, aber es kann zu einer psychischen Abhängigkeit kommen. Das bedeutet, der Patient hat das Bedürfnis, die Droge erneut einzunehmen, um das seelische Wohlbefinden wieder herzustellen. Körperliche Entzugserscheinungen bleiben aus.
In Deutschland fällt LSD unter die Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes. Der Umgang ohne Erlaubnis ist somit verboten. „Der Irrglaube, dass der Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln legal sei, hält sich hartnäckig, ist aber falsch. Zwar kann die Staatsanwaltschaft bei einer kleinen Menge von einer strafrechtlichen Verfolgung absehen, legal ist der Besitz dennoch nicht“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Dominik Greinacher. Wie viel von welcher Droge für den Eigenbedarf mitgeführt werden darf, wird von den Bundesländern festgelegt. LSD fällt jedoch nicht unter diese Ausnahmeregelung. Schon der Besitz kleiner Mengen wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe bestraft.
Wer sollte LSD nicht einnehmen?
Es gibt Personen, bei denen liegen zum Beispiel Erkrankungen wie Schizophrenie oder Psychosen in der Familie. Diese sollten keine bewusstseinsverändernden Drogen einnehmen, sogenannte Psychedelika.
Zudem birgt LSD besonders für jüngere Leute ein höheres Risiko. Man hat in großen Analysen von kontrollierten Erfahrungen mit der Droge gesehen, dass die Wirkung bei jungen Personen häufig sehr unangenehm war. Sie empfanden vermehrt Angstgefühle. Das wird im zunehmenden Alter weniger. Daher gilt für unsere Studie auch eine untere Altersgrenze von 25 und nicht von 18 Jahren, wie das sonst bei klinischen Studien üblich ist. Man hat gesehen, dass LSD im jungen Alter sonst oft mit mehr ängstlichen Erfahrungen zusammenhängt und sehr unangenehm sein kann.
Kann LSD zur Selbsttherapie genutzt werden?
Absolut nicht, nein! Es hört sich immer alles so gut an. Aber in der Forschung wissen wir noch gar nicht, ob der positive Effekt auf die psychische Erkrankung von der Substanz oder von der Psychotherapie kommt. Momentan gehen wir davon aus, dass das Zusammenspiel in der substanzassistierten Psychotherapie die Wirkung ausmacht. Die Erfahrungen, die ein Patient dabei macht, müssen im Anschluss therapeutisch eingeordnet werden. Vor allem, wenn man eine psychische Erkrankung hat und dies aufgrund dessen vielleicht selbst nicht so gut kann.
Außerdem gibt es akute Risiken der LSD-Einnahme wie Angst, Panik oder auch eine Fehldosierung. Ein Arzt oder ein Therapeut kann viel sauberer abklären, was die richtige Indikation ist, also wie viel LSD für den Patienten therapeutisch sinnvoll eingenommen werden sollte. Diese Erfahrung macht man besser mit jemandem, der weiß, was da alles passieren kann.
Eine mögliche Folge einer starken Überdosierung ist zum Beispiel, dass man so lange in ein schwarzes Loch fällt, bis die Wirkung wieder abklingt. Wenn man nur wenig überdosiert, bekommt man vor allem die Angst, dass einem alles um sich herum zu viel wird und man nicht mehr zwischen sich und seiner Umwelt abgrenzen kann. Das nennt man dann auch „Ich-Auflösung“. Dieser Kontrollverlust kann dann auch zu Angst- und Panikzuständen führen.
Wie lange dauert es, bis solche bewusstseinsverändernden Substanzen für die medizinische Therapie zugelassen werden?
Es gibt einige Pharma-Firmen, die da momentan dran arbeiten. In den USA hat gerade eine Psychedelika-ähnliche Substanz, das MDMA (ein Bestandteil von Ecstasy) die letzte Stufe der klinischen Prüfung durchlaufen. Die Forschenden wollen es gegen posttraumatische Belastungsstörungen anwenden. Momentan sieht es so aus, als könnte MDMA schon 2023 in den USA eine Zulassung dafür erhalten. Das könnte der Vorreiter für andere Substanzen werden. In fünf Jahren rechne ich dann mit einer Zulassung für LSD und ähnliche Substanzen, solange keine unerwarteten Hürden aufkommen.