In den beiden Weltkriegen wurde die Nordsee zum Friedhof für Kriegsschiffe. Jetzt löst sich die gesunkene Munition langsam auf und vergiftet das Wasser und die Fische. Ist das eine Gefahr für den Nordsee-Urlaub?
Foto: Taucher an Schiffswrack. Credits: Unsplash/Reiseuhu.
Es ist der Morgen des 28. August 1914. Deutschland befindet sich seit einem Monat im Krieg. Ein kleiner Kreuzer der Kaiserlichen Marine, die SMS Mainz, bekommt den Befehl, die Gewässer vor Helgoland gegen britische Zerstörer zu verteidigen. Zu diesem Zeitpunkt weiß die Besatzung noch nicht, dass es die letzte Mission sein wird, zu der sie mit dem Schiff aufbricht. Etwa 40 Kilometer vor der ostfriesischen Insel Borkum wird die SMS Mainz von drei britischen Torpedos getroffen. Der Besatzung wird klar, dass das Schiff sinken wird und sie öffnet die Flutventile. Ein paar Stunden später befindet sich der Kreuzer auf dem Grund der Nordsee.
Rund 100 Jahre später…
Es ist ein wunderschöner Sommertag auf Borkum. Die Mittagssonne steht hoch am Himmel und es fegt ein angenehmer Wind über die Insel. Die Urlauber wollen ihre Zeit voll und ganz genießen und bestellen in ihrem Lieblingsrestaurant etwas Nordsee-Typisches: Fische und Muscheln. Was jedoch bei der harmlosen Bestellung nicht beachtet wird ist, dass nur 40 Kilometer weiter, im selben Meer, indem die Meerestiere gefangen wurden, eine unsichtbare Gefahr lauert – der Sprengstoff TNT.
Genauso, wie die SMS Mainz im Meer vor Borkum geendet ist, sind auch hunderte andere Schiffe, Flugzeuge und U-Boote in der Nordsee untergegangen. Aber mit ihnen sank oft nicht nur die Besatzung, sondern auch die gesamte Munition an Board. Geschätzt wird, dass rund 1,3 Millionen Tonnen Munitionen und Sprengstoff auf dem Boden der Nordsee liegen.
TNT in unserem Meerwasser
Munitionshülsen beginnen nach 70 bis 100 Jahren im Salzwasser sich aufzulösen. Dabei setzen sie TNT (Trinitrotoluol) und andere chemische Stoffe ins Meerwasser frei. TNT ist giftig und krebserregend. Der Stoff konnte bereits in Fischen und Muscheln nachgewiesen werden. Wie das TNT von Muscheln aufgenommen wird kann in diesem Beitrag angeschaut werden:
Folgen für die Lebewesen können chronische Effekte sein, wie eine beeinträchtigte Entwicklung oder Schäden in den Blut- und Nervensystemen. „Wir können eine Veränderung in der Enzymaktivität sehen, sowohl im Verdauungstrakt als aber auch in den Kiemen“, sagt Romina Schuster, Doktorandin am Alfred-Wegener-Institut (AWI) im Bremerhaven. Die erhöhte Enzymaktivität weißt darauf hin, dass die Fische versuchen, die Schadstoffe aus ihren Körpern zu entfernen.
In einem Experiment des AWIs wurden Kliesche, das ist eine Art von Plattfischen, aus der Nähe von ausgewählten Wracks auf mögliche Schäden durch TNT untersucht. Dabei fanden sie heraus, dass die Lebern der Fische von Tumoren befallen waren. Welche Folgen dies in Zukunft für das Ökosystem der Nordsee haben wird, lässt sich aber noch nicht komplett abschätzen. Die Forscher vermuten, dass die Fische dadurch zum Beispiel schlechter wachsen könnten. Das kann dann wiederum die Folge haben, dass Fischereien weniger Fang machen, da es weniger ausgewachsene Fische gibt.
Seemannsgräber und Lebensgefahr für Hobby-Taucher
Wracks bieten nicht nur einen Lebensraum für Meeresorganismen oder einen Brutplatz für Fische, sondern sie sind auch oft das perfekte Fotomotiv für Hobby-Tauchern. Dabei darf aber nicht vergessen werden, wie gefährlich ein Wrack heute noch sein kann. Es kann jeder Zeit auseinanderbrechen und die mit ihm gesunkenen Sprengstoffe können immer noch explodieren. Außerdem stehen die meisten Wracks unter Denkmalschutz, da sie Seemannsgräber sind. Die Wracks bleiben meistens bis zur kompletten Zersetzung auf dem Meeresgrund und werden oft nur geborgen, wenn auf dem Gelände zum Beispiel neue Windparks entstehen sollen. Wo genau die Wracks auf dem Meeresgrund liegen kann jeder auf Karten nachsehen. Für die deutschen Küsten an Nord- und Ostsee zeigt diese Karte die betroffenen Regionen.
Durch die langsame Freisetzung der chemischen Stoffe und die große Verdünnung im Meerwasser ist es sehr wahrscheinlich, dass die meisten Organismen keine akute Vergiftung erleiden. Ab wann es für uns Menschen gefährlich werden würde hat der Toxikologe Dr. Edmund Maser, Professor an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, mit seinem Team an einem ausgedachten Szenario durchgespielt: demnach müsste ein erwachsenen Menschen täglich 39 Gramm Miesmuscheln aus der Nähe von offenliegenden Sprengstoffen für den Rest seines Lebens essen, um einer erwähnenswerten Gefahr ausgesetzt zu sein. Das wären etwa 14 Kilogramm Miesmuscheln im Jahr.
Im Moment sind die Mengen an TNT in der Nordsee noch so gering, dass sie keine schwerwiegenden Auswirkungen auf uns Menschen haben. Romina Schuster vom AWI sagt dazu aber: „Egal wo man aus der Nordsee Wasserproben nimmt, wir können immer eine gewisse Menge an TNT als Hintergrundbelastung nachweisen.“ Selbst solch kleine Mengen von TNT verschmutzen Nord- und Ostsee. Diese Verschmutzung wird mit den Jahren zunehmen, wenn sich immer mehr Munitionshülsen auflösen. Deswegen ist es wichtig, dass die Situation in der Nordsee weiterhin von Forschenden überwacht und beobachtet wird, sodass bei einer erhöhten Gefahr durch TNT schnell gehandelt werden kann.
Wann der Nordsee-Urlaub zur Gefahr wird
Für den klassischen Badeurlaub an der Nordsee geben Experten aber Entwarnung. Die Wracks liegen weit genug von den Küsten entfernt, sodass das Baden im Meer keine Gefahr darstellt. Der Toxikologe Prof. Dr. Edmund Maser sagt: „Schwimmen – kein Problem. Wasser schlucken beim Schwimmen – kein Problem. Fische und Muscheln essen – alles kein Problem.“ Ein Risiko bleibt aber laut dem Experten: „Nur nicht zu den Wracks hin tauchen und da irgendwas anfassen, dann könnte es explodieren.“