Der Boden schneeweiß, der Himmel strahlend blau: So sieht der Winter in Finnland meistens aus. Am 23. Februar 2021 jedoch glüht der Himmel in Südfinnland gelb und der Schnee schimmert orange. Eine Umweltkatastrophe?
Foto: Orangener Himmel über weißem Schnee. Credits: Unsplash/Denys Nevozhai.
Nur wenige Menschen in Finnland hatten so etwas schon mal gesehen. Als Outi Meinander an diesem Tag aufgewacht ist, wusste sie jedoch, dass es orangefarben schneien wird – und dass niemand etwas zu befürchten hatte. Meinander arbeitet beim Finnischen Meteorologischen Institut in Helsinki als leitende Wissenschaftlerin. „Ich bin jede Stunde herausgegangen, um zu sehen, ob ich schon was vom Staub sehen kann,“ erzählt sie lachend, „Kollegen waren ganz verwirrt und Leute haben unser Institut angerufen, weil sie nicht wussten was da draußen gerade passiert.“
Outi Meinander befasst sich jedoch schon länger mit Staub und Schnee. Ihr war klar, dass das seltene Ereignis irgendwann komme würde, und mit ihm eine einzigartige Gelegenheit, um die globale Atmosphäre zu erforschen. Denn der orange Schimmer war Sand aus der Saharawüste. Wie kommt er in den hohen Norden Europas?
Die Sahara ist die größte Wüste der Erde und erstreckt sich quer über Nordafrika. Sie ist mit über neun Millionen Quadratkilometern fast so groß wie die USA. In Teilen der Sahara stürmt es sehr stark, zum Beispiel in der Bodele-Senke im Tschad, einem ausgetrockneten See. Hier wirbelt der Wind den feinen Sand vom Seegrund in die Atmosphäre. Wenn die obere Sandschicht aufgewirbelt wird, wird gleichzeitig darunterliegender Sand gelöst und ebenfalls in die Luft getragen.
Diese und andere Staubwolken mit Saharasand wehen dann in verschiedene Richtungen, über den Atlantik zum Amazonas-Regenwald, in den Nahen Osten und nach Europa. Die Sahara ist nicht die einzige Quelle für solche Staubpartikel, aber die größte.
Das Zusammenspiel aus Schnee und Staub
Grundsätzlich kann der Staub in der Atmosphäre sehr weit geweht werden, fast das ganze Jahr über. Das bedeutet allerdings nicht, dass es jedes Mal orangefarbenen Schnee gibt. Dafür sind gutes Timing von Schnee und Staub wichtig. Wenn sich die Sandkörner in der Atmosphäre befinden und es dann schneit, färbt sich der Schnee orange. Das geschieht, weil er sich mit dem Staub vermischt und ihn dann mit sich zum Boden bringt.
„Bis hin zu den Alpen ist das ein ziemlich häufiges Phänomen, in Skandinavien passiert es seltener“, erklärt Outi Meinander. „Jedes Jahr erreicht ein Teil Saharastaub Finnland, aber bis jetzt ist es nur zwei Mal vorgekommen, dass wir diesen orangefarbenen Schnee in Finnland beobachten konnten.“ Zuletzt gab es dieses Phänomen 1991 und das auch nur in Lappland, also im kaum besiedelten Norden Finnlands.
Und nun das Wetter: Bitte senden Sie Proben!
Als es 2021 wieder soweit war und diesmal auch im bevölkerungsreicheren Süden des Landes oranger Schnee fiel, rief das Forschungsteam vom Finnischen Meteorologischen Institut dann Bürgerinnen und Bürger dazu auf, Proben des orangefarbenen Schnees einzuschicken.
Die Forscherin erzählt, warum sie sich dazu entschieden haben: „Dadurch wussten die Menschen, dass es nichts Schädliches ist und wir konnten ganz viele Proben von vielen verschiedenen Orten bekommen.“ Überall in den finnischen Medien wurden die Leute aufgerufen, Proben an das Meteorologische Institut zu senden, sogar in der Wettervorhersage auf dem ersten Fernsehprogramm YLE.
Zur Verwunderung der Forschenden erreichte das Institut keine Proben aus der Region um Turku im Südwesten Finnlands. „Es hat sich herausgestellt, dass es im Südwesten Finnlands nicht erneut geschneit hat, als sich der Saharastaub in der Atmosphäre befunden hat“, erklärt Ana Piedehierro, ebenfalls Forscherin und Teil des Forschungsteams „Saharan Hiekkaa“ (dt. Saharasand).
Mikroplastik, winzige Lebewesen und Viren
Insgesamt bekam das Forschungsteam 525 Briefe mit Proben des Schnees zugesendet – manche von ihnen enthielten sogar Gedichte, die die Einsendenden verfasst hatten. „Ich habe die Briefe von Finnisch nach Englisch übersetzt und Ana hat dann die Informationen in eine Datenbank eingetragen,“ erklärt Outi Meinander, „Wir haben die Proben nach den verschiedenen Entnahmetechniken sortiert, geguckt, ob es eine gute Probe war und von jeder ein Foto gemacht.“
Danach wurden die Proben auf verschiedene Weisen analysiert. Zusammen mit dem Naturkundemuseum Luomus sollte beispielsweise überprüft werden, ob Leben auf den Partikeln zu finden ist: „Das Problem allerdings war, dass man sich nicht sicher sein konnte, ob das Lebewesen wirklich aus der Sahara mitgebracht wurde oder ob es einfach gerade über den Schnee in Finnland gelaufen war als man die Probe genommen hat.“ In den Proben wurden unter anderem Viren und Mikroplastik gefunden. Woher das Mikroplastik stammt ist aber – genau wie bei den Lebewesen – nicht eindeutig.
Gute Miene, böses Spiel
Allerdings sorgt der Saharastaub nicht nur für schöne Sonnenuntergänge und gefärbten Schnee. „Die Sandpartikel lassen Eis, und somit Gletscher und Schnee, schneller schmelzen. Wenn Verunreinigungen das Eis dunkler machen, wärmt es sich auf und schmilzt schneller“, sagt Outi Meinander.
Staubpartikel beeinflussen auch das Wetter. Damit sich Wolken bilden können, werden Partikel benötigt, an denen sich das Wasser in der Atmosphäre anlagern kann. Wenn es mehr dieser Partikel – zum Beispiel durch Saharastaub – gibt, bilden sich dementsprechend auch mehr Wolken.
Ob es in Zukunft mehr Sand aus der Sahara in die Atmosphäre schafft, steht noch nicht fest. Outi Meinander und ihr Forschungsteam haben eine Vermutung: „Unsere Hypothese, basierend auf unseren Vorstudien ist, dass die Staubemissionen mit der Zeit zunehmen und zunehmen könnten.“
„Staub aus hohen Breiten“ – Islands versteckte Wüste
Meinander betont, dass durch den Klimawandel noch mehr solcher Staubquellen entstehen, die wiederum mehr Eis schmelzen lassen: „Durch das Schmelzen von Gletschern zum Beispiel auf Island werden Areale mit lockerem Boden freigelegt. Diese Partikel werden dann genau wie der Saharastaub in die Atmosphäre gewirbelt.“
Diese Art von Staub aus dem Norden wird dann als „Staub aus hohen Breiten“ bezeichnet. Die Zusammensetzung dieser Partikel ist anders als die des Saharastaubs. Isländische Partikel haben oftmals vulkanischen Ursprung und eine andere chemische Zusammensetzung, was ihre Auswirkungen auf Klima, Umwelt und Gesundheit verändert. Jede Art von Staub, den wir einatmen kann eine Gefahr für uns sein, besonders jedoch für Menschen, die an Asthma erkrankt sind.
Zusätzlich sind sie – anders als Sandpartikel aus der Sahara – scharfkantig; Outi Meinander erzählt von ihrem Erlebnis bei einem Sandsturm auf Island: „Es fühlt sich so an, als würden einem kleine Stücke Glas ins Gesicht fliegen. Ohne eine Schutzbrille kann man gar nicht draußen sein.“ Wenn diese scharfkantigen Partikel eingeatmet werden können sie gefährlicher für die Atemwege sein als andere Staubpartikel, weshalb einige Forschende den Staub aus hohen Breiten mit Asbest vergleichen.
Es gibt noch viel zu erforschen, besonders im Bereich dieser neu entdeckten Staubquellen auf Island. Zum Beispiel wie genau sich diese Partikel auf die Gesundheit der Menschen auswirken könnten. Und bis dahin geht es für Outi Meinander, Ana Piedehierro und weitere Forschende des Finnischen Meteorologischen Instituts mit der Forschung an dem Sand in unserer Atmosphäre weiter. Eins ist sicher – sie sind klein, aber oho.