Die Schweiz und die Uhrmacherei gehören zusammen wie Spiralfeder und Unruh. Im Videotelefonat erzählt Auszubildende Iris Haldimann, warum sie auch heute noch das alte Handwerk erlernt.
Foto: Detaillreiches Uhrwerk einer Armbanduhr. Credits: Unsplash/Dimitar Stecev
Schwarzer Fußboden, Betonwände und kaltes Neonlicht: Was auf den ersten Blick vom ZeitZentrum, der Uhrmacherschule in der Schweiz, per Videotelefonat zu sehen ist, wirkt kühl, schlicht, minimalistisch. Doch der erste Eindruck trügt. In den Glasvitrinen, die ringsum an den Wänden des langen Raumes stehen, warten kleine Meisterwerke darauf, bestaunt zu werden. Chronometer, Wanduhren, Regulatoren und filigran gearbeitete Metallrädchen und -stifte, die zu wundersamen Formen zusammengesetzt sind: Das Museum des ZeitZentrums in Grenchen zeigt stolz die Werke ehemaliger Lehrender und einzelne Abschlussarbeiten von Absolventen und Absolventinnen. Jede Uhr einzigartig und von Hand gearbeitet. Besuchende des Museums bekommen eine Idee der Handwerkskunst hinter der Uhrmacherei.
Virtuelle Führung durch die Uhrmacherschule
Bereits seit 1851 ist die Uhrenindustrie in der ungefähr 40 Autominuten nördlich von Bern gelegenen Stadt ansässig. Heute noch gehört Grenchen zu den wichtigsten Standorten der Schweizer Uhrenindustrie und beheimate die einzige deutschsprachige Uhrmacherschule der Schweiz.
Iris Haldimann ist an der Uhrmacherschule in Gretchen Auszubildende im bald vierten und letzten Lehrjahr. Sie führt per Videochat durch die Schule, dreht ihr Handy in alle Richtungen, um ein Gefühl für den Raum zu vermitteln. Durch die abgeschwächte Internetverbindung im Schulgebäude lassen sich die kleinen Details der Armbanduhren in den Vitrinen nur zum Teil erfassen. Eingespannt in den braunen, orangenen und gelblichen Lederbändern glänzen sie um die Wette: schlichte, ausgefallene, skelettierte und klassisch elegante Uhren. Je länger man schaut, desto mehr Details fallen einem ins Auge. Ob Haldimann Ihre Abschlussarbeit einmal im Museum ausstellen möchte, weiß sie noch nicht. „Kommt ganz auf das Resultat an“, so die Auszubildende.
Vom Museum aus läuft Haldimann über einen breiten Flur Richtung Atelier. Die Lehrräume der verschiedenen Jahrgänge sind durch Türen verbunden, sodass sich der gesamte Atelierkomplex wie ein langer Schlauch entlang einer Gebäudeseite erstreckt. Die außen liegende Wand ist mit großen Fenstern durchsetzt und bietet einen Blick ins Grüne.
Junge Leute statt alter schrulliger Männer
Spätestens bei Betreten des Ateliers ist die Vorstellung des schrulligen alten Mannes mit Vergrößerungsglas, der im Hinterzimmer seines Verkaufsladens bei Kerzenschein eine Uhr zusammensetzt, überholt: Junge Menschen in blauen und weißen Kitteln laufen zwischen den Werktischen hin und her, Licht scheint durch die vielen Fenster und die Arbeitsplätze sind mit modernen Leuchtstoffmitteln ausgestattet. Zugegeben, ein Vergrößerungsglas haben auch die angehenden Uhrmacher und Uhrmacherinnen, aber sonst wäre die Arbeit mit den mikroskopisch kleinen, teilweise nur wenige Mikrometer großen, Teilchen kaum möglich.
Die Uhrmacherei ist Familientradition
„Das Kleinteilige und Mechanische hat mich fasziniert. Außerdem mag ich es, handwerklich tätig zu sein“, erklärt Iris Haldimann auf die Frage, warum sie sich für diese Ausbildung entschieden hat. Aktuell arbeitet die angehende Uhrmacherin an der Revision einer Uhr der Marke Eterna. Revidieren heißt in diesem Fall: kleine Fehler beheben, reinigen, neu montieren und einregulieren.
Ihr Interesse am Uhrmacherhandwerk hat noch einen anderen Ursprung: Das Talent dazu wurde ihr nämlich schon in die Wiege gelegt. „Mein Vater ist auch Uhrmacher und unter unserem Familiennamen Haldimann werden schon seit 1642 Uhren hergestellt“, erzählt die Auszubildende. Kein Wunder also, dass sie schon als Kind mit alten kaputten Uhrwerken spielte und mit zwölf Jahren die Uhr der Großmutter auseinander nahm. Nur beim Zusammensetzen brauchte sie damals noch etwas Hilfe. Jetzt, zum Start des letzten Lehrjahres, sieht das schon anders aus.
Erstmal müssen die Grundlagen her
„Ich finde es toll, die Freude in den Gesichtern der Menschen zu sehen, wenn sie ihre revidierte Uhr bei uns im ZeitZeitrum wieder abholen. Das macht mir mit am meisten Spaß“, erzählt Haldimann. Bevor die Lehrlinge der Uhrmacherschule jedoch Uhren von Kunden revidieren dürfen, müssen sie die Grundlagen lernen: Das heißt Fräsen, Feilen, Schleifen, Bohren. Auch technisches Zeichnen, Materialkunde und das Herstellen eigener Werkzeuge steht auf dem Stundenplan. „Manche Werkzeuge werden nicht so produziert, wie wir sie brauchen oder die eigenen sind einfach besser“, erklärt Haldimann.
Vergleich: Ausbildung in der Schweiz und in Deutschland
Ausbildung zum/zur | Uhrmacher/Uhrmacherin in der Schweiz | Uhrmacher/ Uhrmacherin in Deutschland |
Dauer | 4 Jahre | 3 Jahre |
Ausbildungsmodell | Betriebliche Ausbildung oder Ausbildung in der Berufsschule | Betriebliche Ausbildung oder Ausbildung in der Berufsschule |
Uhrmacherschulen Standorte | Sechs Hauptstandorte: Biel, Genf, Le Locle, Le Sentier, Pruntrut, Grenchen (Grenchen ist die einzige deutschsprachige Uhrmacherschule in der Schweiz) | Glashütte, Hamburg, Bad Pyrmont, Recklinghausen, Neu-Anspach, Pforzheim, VS-Schwenningen, Furtwangen, Würzburg |
Von der Mechanik zur präzisen Uhrzeit
Bis die Zeitmessung jedoch mit so filigranen Armbanduhren möglich war, brauchte es einige Jahrtausende. Den Anfang machten die Ägypter mit der Sonnenuhr. Mit ihr konnten sie den Tag in zwölf Stunden einteilen, auch wenn es dabei einige Probleme gab: So waren die Stunden im Sommer länger und im Winter kürzer, während es bei schlechtem Wetter gar nicht möglich war, die Zeit abzulesen. Das Problem lösten sie schließlich mit der Wasseruhr, durch die eine Flüssigkeit wie Sand durch die Sanduhr floss.
Auf die Wasseruhr folgten mit einigem Abstand die Turmuhren und schließlich mechanische Uhren wie die Pendeluhr oder die Armbanduhr. 1932 erfanden dann die deutschen Physiker Adolf Scheibe und Ulrich Adelsberger die Quarzuhr. Auch heute noch sind batteriebetriebene Quarz-Funkuhren Teil des Alltags. In Ihnen befindet sich ein Quarzkristall, der durch das Anlegen einer elektrischen Spannung verformt wird, wodurch es wiederum zu einer Spannung im Kristall kommt. Das Ganze nennt sich dann piezoelektrischer Effekt.
Ist der Quarzkristall in Schwingung versetzt, hat er eine Frequenz von nicht ganz 33.000 Hertz, also Schwingungen pro Minute. In der Uhr wird diese auf eine Schwingung pro Sekunde herunter reguliert und sendet somit jede Sekunde einen Impuls an einen Motor, welcher dann die Zeiger auf dem Ziffernblatt vorantreibt. Durch diese Antriebsweise haben Quarzuhren eine Abweichung von nur einer Sekunde pro Woche. Am genausten sind allerdings Atomuhren. Sie dienen mit einer Abweichung von gerade einmal einer Sekunde pro mehrerer hundert Millionen Jahre zur Synchronisation anderer Uhren.
Statussymbol bleibt aber die Schweizer Armbanduhr
Doch trotz all der exakten und modernen Zeitmessungsmethoden durch Mikrowellenstrahlung-absorbierende Ceasiumatome in Atomuhren, bleibt nicht zuletzt die mechanische Schweizer Armbanduhr ein Statussymbol. 2019 wurden laut Verband der schweizerischen Uhrenindustrie rund 20,6 Millionen Uhren aus der Schweiz exportiert. Das entspricht allerdings nur einem Anteil von 2,3 Prozent der weltweiten Uhrenproduktion – auf den ersten Blick. Denn Spitzenreiter sind China, mit 644,3 Millionen exportierten Uhren, und Hongkong mit 197 Millionen exportieren Uhren.
Große Differenzen im Wert der Uhren
Der Unterschied liegt im Wert der Uhren. Uhren aus China kosten im Schnitt 4 US-Dollar, umgerechnet als etwa 3,41 Euro. Die Schweizer Uhren gehen im Schnitt hingegen für umgerechnet 852 Euro über den Tisch. Damit erwirtschaftete die Schweizer Uhrenbranche 2019 einen Jahresumsatz von 18,6 Milliarden Euro, während China nur einen Umsatz von 4,18 Milliarden Euros verzeichnen konnte.
Am Umsatz gemessen, haben Schweizer Uhren einen Marktanteil von ungefähr 50 Prozent. In der Schweiz selbst trägt die Uhrenindustrie laut dem Online-Nachrichtendienst Swissinfo so 1,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Damit ist sie die drittgrößte Exportindustrie hinter der Pharma- und Maschinenindustrie. Die Zahlen für 2020 liegen deutlich unter diesen Werten: Nur 13,8 statt rund 20 Millionen exportierten Schweizer Uhren, was allerdings der Corona-Pandemie zuzuordnen ist.
So ticken die teuren mechanischen Meisterwerke
„Es ist wirklich spannend zu sehen, wie viele Menschen eine emotionale Bindung an ihre Uhr haben“, erzählt Iris Haldimann. Sie weiß: Die vielen filigranen Metallstücke sind mehr als die Summe ihrer Teile, sie sind Herzstück und Lebensspender einer jeden mechanischen Armbanduhr. Allen voran das Regulierorgan, aus Unruh und Spiralfeder. Über die Krone, das kleine Rädchen an der Armbanduhr, wird die Zugfeder aufgezogen und mechanische Energie wird im Federhaus gespeichert. Diese Energie wird langsam, aber konstant auf das Räderwerk abgegeben. Für die Umwandlung in eine periodische Tick-Tack-Bewegung ist die Hemmung zuständig, welche die Bewegung wiederum auf die Unruh und die hauchdünne Spiralfeder überträgt. Das Regulierorgan ist durch seine präzise Schwingung für die Genauigkeit der Uhr und das Ablaufen der Zeit zuständig.
Ob Atom-, Quarz-, Sonnen- oder mechanische Uhr – sie alle haben am Ende doch denselben Zweck: Zeitdifferenzen messen und diese in der uns verständlichen Uhrzeit wiedergeben: Damit wir unseren Tag planen können, nicht zu spät zur Arbeit oder zum Zahnarzt kommen und uns immer gehetzt die Frage stellen können, wie spät es denn wohl gerade ist.