Schaurige, aber seriöse Forschung: In den 1950er Jahren ließen Forschende in Großbritannien ungewöhnliche, tiefgefrorene Tote auferstehen – mithilfe einer Mikrowelle, die sie für ihr Forschungsvorhaben ganz nebenbei erfanden.
Foto: Erst zu Eis erstarrt – dann wieder zum Leben erweckt. Credits: Unsplash/Jan Kopřiva.
Gerade hatte er den letzten Bissen seines Weißkohls mit einem Schluck eines süßlich schmeckenden Getränks hinuntergespült, als die vergitterte Tür hinter ihm aufsprang. Ein junger Mann war rasch an ihn herangetreten, hatte ihn wortlos gepackt und aus dem kleinen Raum, in dem er die letzten Tage allein verbracht hatte, in eines der vielen Labors des Londoner „National Institute for Medical Research“ gebracht. Ohne Erklärung, war er dort in einen engen Kühlraum gesperrt worden. Gewehrt hatte er sich nicht, es hätte auch keinen Zweck gehabt.
Dort saß er nun zitternd auf dem Boden. Das Thermometer an der Wand des Raumes zeigte seit fast einer halben Stunde frostige +2°C. Durch die Kälte und den zunehmenden Mangel an Sauerstoff war er wie betäubt, rührte sich nicht und atmete nur flach in die Stille hinein. Als die Tür des Kühlraumes nach einer weiteren halben Stunde wieder geöffnet wurde, hatte er längst das Bewusstsein verloren. So entging ihm auch, wie man ihn kurz darauf in ein Becken mit eiskalter Flüssigkeit legte, dessen Oberfläche mit zerstoßenem Eis bedeckt war. Mit Schnüren fixiert, ragten nur noch sein Mund und die Nase heraus. Ein zwischen den Eissplittern treibendes Thermometer zeigte -5°C. In einem letzten rexflexgesteuerten Versuch seines Körpers, lebenserhaltende Wärme zu erzeugen, fing er erneut an, aufs Heftigste zu zittern. Doch das kalte Wasser zog ihm die Wärme unerbittlich aus seinem tauben Körper. Seine Atmung wurde von Minuten zu Minute schwächer, das Herz schlug langsamer und dann schließlich überhaupt nicht mehr.
Als man den Körper des kleinen Goldhamsters nach fast einer Stunde aus dem Eisbad hob, war sein lebloser Körper gefroren, bretthart und die ergraute Haut an vielen Stellen mit kleinen Eiskristallen bedeckt.
Keine Gruselgeschichte, sondern echte Forschung
Was sich in dieser bewusst dramatisierten Fassung eher wie eine Horror-Geschichte liest, fand vor nunmehr fast 70 Jahren genau so im Rahmen eines seriösen Forschungsprojektes statt. Alle beschriebenen Vorgänge und Details finden sich in den wissenschaftlichen Aufsätzen zu diesem Projekt wieder. Wozu das Ganze? Wer könnte das besser beantworten, als der „junge Mann“ aus unserer Geschichte: Trotz seines beachtlichen Alters von mittlerweile 102 Jahren war der britische Wissenschaftler James Lovelock auf Anfrage von science-guide.eu gerne bereit, mehr über die Hintergründe des Projekts zu erzählen: „Sowohl medizinisch als auch kommerziell bestand damals ein großes Interesse daran, Organe, Gewebe und besonders Blut und Samenzellen durch Einfrieren für längere Zeiträume außerhalb eines lebenden Körpers konservieren und später unversehrt wieder auftauen zu können.“ Lovelock gehörte Anfang der 1950er-Jahre zu den Ersten, die die Kryokonservierung, also das Konservieren von Zellen und Gewebe durch Einfrieren, erforschten.
Glycerin wirkt in Zellen als natürliches Frostschutzmittel
Als unabhängiger Wissenschaftler mit einem Abschluss in Chemie und einem Doktortitel in Medizin, beschäftigte sich Lovelock damals mit allem, was er interessant fand oder wofür man ihn engagierte. So wurde Lovelock im Jahr 1950 an das National Institute for Medical Research gerufen, um die Biologen Chris Polge und Audrey Smith mit seiner Expertise im Bereich der Physikalischen Chemie zu unterstützen.
Diese hatten kurz zuvor entdeckt, dass einzelne lebende Zellen in einer Lösung aus Glycerin und Wasser für mehrere Monate eingefroren und wieder aufgetaut werden können, ohne dabei Schaden zu nehmen. Möglich machte es das Glycerin, ein Zuckeralkohol, der auch in der Natur zum Beispiel in winterharten Pflanzen oder Insekten als Frostschutz zum Einsatz kommt. Dieser weitgehend ungiftige Stoff dringt in die Zellen ein und sorgt dafür, dass die Flüssigkeit in ihrem Inneren zähflüssiger wird. Das erschwert die Bildung von spitzen Eiskristallen, die die empfindlichen Zellwände beschädigen können.
Doch noch ein weiterer Prozess bringt die Zellen beim Einfrieren in Gefahr, so Lovelock: „Die Flüssigkeit im Inneren der Zellen besteht neben Wasser auch aus vielen darin gelösten Salzen. Beim Einfrieren der Zellen wird aber nur das reine Wasser zu Eis, sodass sich die gelösten Salze in der verbleibenden Flüssigkeit ansammeln, bis nach einer gewissen Zeit eine tödliche Konzentration erreicht ist.“ Dies wird als „Osmotischer Schock“ bezeichnet. James Lovelock entdeckte, dass Glycerin auch in diesem Prozess hilfreich ist: Indem man die Zellen in der Mischung aus Wasser und Glycerin einfror, bildete sich zum einen weniger Eis, zum anderen verlangsamte das Glycerin die tödliche Aufkonzentration der Salze.
Kryoschlaf, der Stoff, aus dem Science-Fiction gemacht war
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Science-Fiction-Literatur bereits seit Jahrzehnten von der Kryonik phantasiert: Autoren schickten ihre Helden im Kälteschlaf auf jahrhundertelange Reisen zu fernen Sternen oder ließen sie so eine ferne Zukunft auf der Erde besuchen. Sogar die Idee, unheilbar kranke Menschen nach ihrem Tod einzufrieren, um sie hunderte Jahre später mit neuen medizinischen Behandlungsverfahren zu heilen, fand sich bereits in Büchern aus den 1930er Jahren. Inwiefern diese kühnen Phantasien jedoch wirklich umsetzbar waren, wusste damals niemand.
Von einzelnen Zellen zu ganzen Lebewesen
Mit ihren Erkenntnissen zur Frostschutz-Wirkung von Glycerin in einzelnen Zellen gelangen Polge und Smith ein bedeutender erster Schritt auf dem Gebiet der Kryobiologie. Umgehend folgten weitere Versuche: Nachdem auch Blutzellen und größere Zellgebinde eingefroren und unbeschadet wieder aufgetaut worden waren, stellte sich irgendwann die Frage nach den Grenzen des Verfahrens: War es möglich, ganze Organe oder gar komplexe Lebewesen durch Einfrieren zu konservieren?
So kam es, dass die Wissenschaftler:innen bereits vier Jahre nach den ersten erfolgreichen Versuchen mit einzelnen Zellen Experimente mit deutlich größeren Versuchsobjekten begannen: Sie verabreichten Ratten und Hamstern den süßlich schmeckenden Stoff Glycol als Frostschutzmittel, kühlten sie in einem Wasserbad bis knapp unter 0°C ab, bis sie medizinisch tot waren und versuchten dann, sie wieder zum Leben zu erwecken.
Das Auftauen muss schnell und gleichmäßig erfolgen
Doch gerade der entscheidende Schritt des Wiederbelebens bereitete den Kryobiologen anfangs Kopfzerbrechen: Wie sollte man die kleinen Tiere am besten wieder auftauen? „Je größer und komplexer ein Tier ist, desto schwieriger wird es, für die richtige Verteilung des Frostschutzmittels in allen Organen und Bereichen des Körpers zu sorgen“, sagt Lovelock und ergänzt: „Menschen zum Beispiel wären schon viel zu groß. Hamster haben gerade noch eine akzeptable Größe.“
Trotzdem gilt auch bei ihnen: Je mehr Zeit die Hamster im gefrorenen Zustand verbringen, desto größer wird die Gefahr eines osmotischen Schocks in ihren Zellen. Das Auftauen musste also so schnell wie möglich, aber auch gleichmäßig erfolgen. Denn wären beispielsweise Teile eines Organs bereits aufgetaut, sodass der Stoffwechsel bereits wieder aktiv wird, während andere Teile des Organs noch gefroren und ihr Stoffwechsel inaktiv ist, hätte das schnell zu bleibenden Schäden führen können.
Glühendes Metall: Wärme mit schmerzhaften Nebenwirkungen
Da man es zu der Zeit mit dem Tierschutz meist nicht allzu genau nahm, versuchten die Wissenschaftler:innen die Probleme Schnelligkeit und Gleichmäßigkeit zunächst auf recht radikale Art und Weise zu lösen: „Sie drückten den Tieren einen glühend heißen Metalllöffel auf die Brust, bis sie aufgetaut waren. Sie hatten danach schlimme Verbrennungswunden“, erinnert sich Lovelock, der damals hauptsächlich an der Theorie hinter den Projekten tüftelte. Zweifellos war dies eine schnelle Methode, die kleinen Hamster von gerade einmal 100 Gramm Gewicht aufzutauen. Aufgrund der enormen Hitze war außerdem davon auszugehen, dass alle Bereiche des Körpers annähernd gleich schnell auftauten.
Für James Lovelock, der nach eigenen Angaben schon bei früheren Projekten zur Erforschung von Verbrennungswunden statt Kaninchen lieber seinen eigenen Arm als Untersuchungsobjekt verwendet hatte, war dieses Vorgehen jedoch nicht hinnehmbar. Er schlug daher vor, eine Technologie zu nutzen, mit der die Tiere schmerzfrei und ohne bleibende Schäden aufgetaut werden können.
Mikrowellen: Die sanfte Alternative
Lovelock war bekannt, dass seit ein paar Jahren Mikrowellen zum Erwärmen von Nahrungsmitteln und zu medizinischen Zwecken in der Wärmetherapie eingesetzt wurden. Dieses, auch als Diathermie bezeichnete Verfahren, hatte in Lovelocks Augen den großen Vorteil, dass die Mikrowellen in den Körper eindringen und die Wärme erst im bestrahlten Objekt selbst erzeugt wird. Zudem konnte die Intensität der Mikrowellen gut dosiert werden, sodass die Tiere von innen heraus gleichmäßig auftaubar wären.
Für 10 Schilling (umgerechnet heute etwa 17 Euro) aus eigener Tasche kaufte Lovelock einen überschüssigen Radiotransmitter der Britischen Luftwaffe, der Mikrowellen erzeugen konnte und baute damit einen erstaunlich simplen Apparat zum Auftauen der Hamster: Die vom Radiotransmitter erzeugten Mikrowellen wurden über einen sogenannten Waveguide, eine Art Metallrohr für elektromagnetische Wellen, in einen Käfig aus engem Drahtgeflecht geleitet. Dort konnte der eingefrorene Hamster hineingelegt und aufgetaut werden. Der Drahtkäfig verhinderte, dass die Mikrowellen aus dem Käfig entkommen konnten.
Lovelock kann als Erfinder der Haushalts-Mikrowelle gelten
Nach ersten Tests mit Backkartoffeln als Hamster-Dummie, tauschte Lovelock den einfachen Radiotransmitter durch einen leistungsstärkeren Magnetron Generator, mit dem die Britische Marine normalerweise Mikrowellen für die Radarortung erzeugte und ergänzte einen Trichter, der die Mikrowellen gleichmäßiger im Käfig verteilte. Ansonsten blieb der ursprüngliche Aufbau bestehen.
Die von Lovelock konzipierte Apparatur hatte damit alle wesentlichen Merkmale unserer heutigen Mikrowellen – und das gut zehn Jahre, bevor Firmen überhaupt Mikrowellen für den Heimbedarf anboten. Die wenigen Mikrowellenherde, die es bereits gab, waren für die Nutzung in Restaurant-Küchen konzipiert, so groß wie Kühlschränke und kosteten tausende von Dollar. In gewisser Weise kann James Lovelock daher als der Erfinder unserer modernen Mikrowelle gesehen werden.
Credits: science-guide.eu/Finn Brockerhoff
Auferstehung in der Mikrowelle
Nun musste sich seine Erfindung nur noch in der Praxis beweisen, womit wir bei dem Teil unserer Geschichte wären, die Lovelock auf seiner eigenen Webseite als „splendid performing circus stuff“, also eine „prächtige Zirkusvorstellung“ bezeichnet – und das zu Recht:
Lovelock nahm den gefrorenen, leblosen Hamster und legte ihn auf den Rücken in den Drahtkäfig seiner Mikrowelle, schob ihm vorsichtig einen Beatmungsschlauch ins Maul und schaltete die Mikrowellenstrahlung ein. Zunächst regte sich nichts. Doch schon nach wenigen Augenblicken begann der Brustkorb des Hamsters leicht zu pulsieren; zunächst unregelmäßig und schwach, dann immer kraftvoller und rhythmischer. Eine Ader am Hals des Tiers begann zu pochen. Die Lippen, Pfoten und Zunge bekamen eine zarte rosige Farbe. Einem kurzen Zucken der Tasthaare folgten die ersten tiefen Atemzüge, leichte Bewegungen des Kopfes und – wie zuvor beim Einfrieren – unkontrolliertes Zittern. Nach einigen Versuchen gelang es dem Hamster, sich selbstständig auf den Bauch zu drehen und umherzulaufen. Dass er für über eine Stunde tot gewesen war, konnte man ihm schon am nächsten Tag nicht mehr anmerken.
Größe der Lebewesen und Eis-Anteil begrenzen den Erfolg
Mehr als einhundert Hamster konnten im Rahmen der Experimente von Aubrey Smith und James Lovelock auf diese Weise erfolgreich wiederbelebt werden, nachdem sie für bis zu eine Stunde medizinisch tot und teilweise bis zu 40 Prozent ihrer Zellen gefroren waren. Viele der Tiere lebten danach noch viele Monate in offensichtlich perfekter Gesundheit. Die Experimente zeigten sich jedoch auch die Grenzen der Methode: Wird der Eis-Anteil im Körper zu groß, endet das Einfrieren tödlich. Keiner der Hamster, die zu mehr als 55 Prozent gefroren waren, kam wieder zu Bewusstsein. Bei späteren Versuchen mit Hasen und Kaninchen starben sogar alle Versuchstiere spätestens einen Tag nach der Wiederbelebung an Organschäden, sodass die Experimente eingestellt wurden.
Was für Hamster funktioniert, bleibt für Menschen Science-Fiction
Es scheint also, als bliebe die Idee der Science-Fiction Autoren, Menschen im Kryoschlaf auf Raum- und Zeitreisen zu schicken, genau das: Wissenschafts-Fiktion. Auch fast 70 Jahre später kennt die Wissenschaft noch kein zuverlässiges Verfahren, um größere Tiere, Organe oder gar ganze Menschen einzufrieren, ohne dabei schwere Zellschäden zu verursachen – und das, obwohl das Interesse der medizinischen Forschung am Kryoschlaf nach wie vor groß ist.