Eine Million für eine gelöste Matheaufgabe? Das sollte Ansporn genug sein, die sieben Millennium Prize Problems zu lösen. Dennoch wurde bisher nur eins der Rätsel gelöst – von einem Mathematiker, der weder das Geld noch den Ruhm wollte.
Foto: Kopfzerbrechen für die größten Mathematikerinnen und Mathematiker der Welt – die Millennium Prize Problems. Credits: Unsplash/Roman Mager.
Die Mathematik ist reich an ungelösten Rätseln. Um sie zu lösen, sind nur solche Mittel erlaubt, die selbst bewiesen sind – denn wie jede Wissenschaft ist auch die Mathematik stets auf der Suche nach der letzten Gewissheit. Doch in keiner anderen Disziplin sind solche Pionierleistungen ambitionierter als in der fantastischen Welt der Zahlen.
Jagd auf die größten Probleme der Mathematik
Um der Öffentlichkeit die Leistungen der größten Mathematikerinnen und Mathematiker nahe zu bringen, haben sie im Jahr 2000 einen eigenen Wettstreit eröffnet. Im Mittelpunkt stehen die sogenannten Millennium Prize Problems – die wichtigsten ungelösten Probleme der Mathematik, an denen selbst die größten Köpfe des Fachs scheiterten.
Wem es gelingt, eines dieser Zahlenrätsel zu knacken, dem winken nicht nur Ruhm und Ehre, sondern eine Belohnung von je einer Millionen Dollar. Ein erster Held ist aus diesem Wettbewerb schon hervorgegangen, auch wenn dieser sich anders verhält als von vielen erhofft. Und ein Zweiter arbeitet noch daran, ein solcher Held zu werden. Sein Werkzeug dabei: der mathematische Beweis.
Das Ziel: Begeisterung für die Schönheit der Zahlen
Die Idee, auf die größten ungelösten Rätsel der Mathematik ein Kopfgeld auszurufen, stammt vom Gründer des Clay Mathematics Institutes (CMI) Landon Clay. Er stellt auch die finanziellen Mittel für die bis zu sieben Millionen US-Dollar teure Jagd.
Seine Ziele: mehr öffentliche Aufmerksamkeit für die Mathematik und mehr Begeisterung für die Schönheit der Zahlen bei jungen Menschen, denn einen Ruhm bringenden Nobelpreis für Mathematik gibt es nicht. Und tatsächlich: Die Reaktionen auf Landon Clays Idee waren viel versprechend. Von einem “exzellenten Weg für eine private Stiftung, um die Faszination der Mathematik auch der Allgemeinheit nahe zu bringen“ schrieb etwa die Fachzeitschrift Nature.
Vorbild des CMI ist David Hilbert, neben Henri Poincaré der bedeutendste Mathematiker des frühen 20. Jahrhunderts. Bei einer richtungweisenden Rede auf dem Internationalen Mathematikerkongress 1900 in Paris formulierte Hilbert die seiner Meinung nach 23 größten ungelösten Probleme der Mathematik – und prägte damit die Forschung seines Fachs im 20. Jahrhundert nachhaltig.
Vier Disziplinen und der Heilige Gral der Mathematik
Die sieben neuen „Millennium Prize Problems“ stammen aus vier Disziplinen der Mathematik: der Zahlentheorie, der Mathematischen Physik, der Theoretischen Informatik und der Topologie, welche die Eigenschaften von Räumen untersucht. Alle Probleme haben eine Gemeinsamkeit: Hartnäckig widersetzen sie sich zum Teil seit Jahrzehnten ihrer Lösung – trotz aller Anstrengungen der größten Mathematiker.
Eines der Probleme – die Riemann’sche Vermutung – gilt mittlerweile sogar als „Heiliger Gral der Mathematik“. Vom deutschen Mathematiker Georg Riemann bereits im Jahr 1859 formuliert, stand sie schon auf Hilberts legendärer Liste – und blieb als einziges Problem jener 23 bis heute ungelöst.
Tüfteln in der Abgeschiedenheit
Als einziges der sieben Millenium Problems wurde 2002 die Poincaré-Vermutung bewiesen – von Grigori Jakowlewitsch Perelman, einem eigenwilligen und abgeschieden lebendem Russen, der über Nach zum Star der Mathematik wurde. Seine Ergebnisse trafen die mathematische Community wie ein Paukenschlag, denn der geniale Wissenschaftler war schon fast in Vergessenheit geraten. Einst hatte er Angebote führender Institute abgelehnt, arbeitete stattdessen abgeschieden in seiner Heimat. Und verriet niemandem, woran er forschte.
„Grigori Perelman lebt sehr zurückgezogen“, sagt Carlson. „Aber er ist ein sehr kreativer Mathematiker mit großen Ideen. Sein einziger Fokus liegt auf der Mathematik.“ Seinen Beweis für die Vermutung von Poincaré veröffentlichte Perelman in keiner Fachzeitschrift, sondern im Internet – und umging damit die Regeln des CMI. Trotzdem ließ das CMI Perelmans Beweis durch angesehene Mathematiker prüfen. Ihr Ergebnis nach fast zwei Jahren ließ keine Zweifel mehr zu: Perelmans Beweisführung ist korrekt – der größte Erfolg in der Mathematik seit dem Beweis von Fermats letztem Satz. Die Fachzeitschrift Science kürte Perelmans Beweis sogar zum größten wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2006.
Verzicht auf Preisgeld und die Fields-Medaille
Doch Geld bedeutete Perelmann ebenso wenig wie Ruhm und Ehre. Das Preisgeld lehnt er ab. Er wolle keine Ikone werden, berichtete die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf einen angesehenen Mathematiker. Deshalb habe er auch auf die Fields-Medaille verzichtet. Zur der bedeutendsten Auszeichnung der Mathematik erschien er erst gar nicht. Doch eben durch dieses Verhalten wird er zum Helden wider Willen.
Denn schließlich bedient Perelman – der sich Haare und Nägel nicht schneidet – das Klischee des genialen aber verschrobenen Mathematikers nahezu perfekt. Seit seinem Beweis ist Perelman wieder abgetaucht. Um das nächste Millenniumsrätsel zu lösen?
Dieser Beitrag wurde ursprünglich 2006 im Rahmen des Euroscience Open Forum veröffentlicht und 2021 aktualisiert.