Montenegro ist eines der forschungsschwächsten Länder Europas und will es nicht länger sein. Das Wissenschaftsministerium hat eine Forschungsoffensive gestartet – auch um dem angestrebten EU-Beitritt näher zu kommen.
Foto: Die Aussicht in die Wissenschafts-Zukunft von Montenegro soll so toll werden, wie die Aussicht auf die Bucht von Kotor. Credits: Unsplash/Dragisa Braunovic.
Die Europäische Kommission führt eine Rangliste zur Forschungs- und Innovationsleistung der Länder Europas. Wo Montenegro steht, ist dem montenegrinischen Wissenschaftsministerium deutlich bewusst. „Wir finden Montenegro am unteren Ende“, sagte Generaldirektorin Branka Zizic auf der Wissenschaftskonferenz Euroscience Open Forum 2020. Dort stellte sie den Weg vor, den der Westbalkanstaat zur Stärkung seiner Forschung eingeschlagen hat. Noch ist Montenegro forschungsschwach, in den Worten der Europäischen Kommission nur ein „modest innovator“. Sie ermittelt den sogenannten Innovation Index, eine Kennzahl für die Forschungs- und Innovationsleistung eines Landes. Montenegro kommt dabei auf einen Wert, der kaum die Hälfte des europäischen Durchschnitts erreicht.
Ausgaben für Forschung liegen unterhalb der EU-Richtlinie
In den Innovation Index fließt unter anderem mit ein, wie viel ein Land für Forschung und Entwicklung ausgibt. Montenegro gehört zu den Ländern mit den geringsten Ausgaben. Welches Land mit seinen Forschungsausgaben das europäische Schlusslicht bildet, darüber gehen die Daten der Europäischen Union und der Unesco auseinander. Mal hat Montenegro Nordmazedonien überholt, mal nicht.
Beide EU-Beitrittskandidaten unterschreiten derzeit sichtlich die EU-Richtlinie für Forschungsausgaben. Diese sollen drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen, so haben sich die EU-Mitgliedstaaten verständigt. Montenegro hingegen investiert nur etwa 0,5 Prozent seines BIP. Im Wissenschaftsministerium habe man dennoch nicht das Gefühl, die Richtlinie zu verfehlen: Selbst EU-Mitglieder wie Malta und Zypern seien „weit von diesem Ziel entfernt“, lautet der Einwand.
Roadmap für Wissenschaft nach Vorbild der EU
Allerdings sind in Montenegro die Investitionen in Forschung in den letzten Jahren gestiegen. Das Land baut seine Wissenschaft aus und hält dabei offenbar Kurs auf den EU-Beitritt. Als erster Westbalkanstaat entwarf Montenegro eine Roadmap, die sich orientiert an der Initiative „Europäischer Forschungsraum“ für eine EU-weite gemeinsame Forschungspolitik. Zudem adaptierte Montenegro die sogenannte „Smart Specialisation Strategy“ der EU. Dabei geht es darum, gezielt die Stärken von Regionen und Ländern in der Forschung zu fördern.
Als Teil dieser Strategie setzt das Wissenschaftsministerium vier Prioritäten: Nachhaltige Agrarkultur, Energie und Umwelt, Gesundheitstourismus sowie Informations- und Kommunkationstechnik (ICT). Laut dem Ministerium zählen Agrarkultur und Biologie bereits zu den spezialisierten Forschungsgebieten in Montenegro, ebenso wie Ingenieurs-, Computer- und Wirtschaftswissenschaften. Grundlage für diese Auswertung ist die Anzahl an wissenschaftlichen Publikationen. „Spezialisiert“ bedeutet dabei, dass Montenegro in diesen Forschungsgebieten im Verhältnis zu anderen Forschungsgebieten und zum internationalen Durchschnitt viel publiziert.
Zunehmend Investitionen in die Infrastruktur
Außerdem bemüht sich Montenegro um bessere Rahmenbedingungen der Forschung. Sie hätten hart an Infrastruktur und Finanzierung gearbeitet, sagte Generaldirektorin Branka Zizic. Dazu gehören das 2016 errichtete „Innovation Entrepreneurship Centre Technopolis“ oder aktuell ein Wissenschafts- und Techpark in der Hauptstadt Podgorica, der 2021 eröffnen soll. Zudem hat das Wissenschaftsministerium verschiedene Institutionen vernetzt, neue Finanzierungsinstrumente eingeführt und rechtliche Änderungen für zum Beispiel Steuervorteile vorgenommen.
Vergleichsweise wenig Forschende in Montenegro
Attraktivere Forschung könnte auch die Zahl der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Montenegro erhöhen. In der Vergangenheit stieg sie bereits leicht an. Doch das Wissenschaftsministerium selbst meint, dass insgesamt noch keine „kritische Masse“ zustande komme. Laut dem Institut für Statistik der Unesco gibt es in Montenegro pro 100.000 Einwohner 70 Wissenschaftler. Zum Vergleich: In Luxemburg sind es 470 Wissenschaftler bei einer ähnlich großen Bevölkerung. Und für Forschung und Entwicklung gibt Luxemburg immerhin fast 1,3 Prozent des BIP aus, das wiederum mehr als zehnmal so groß ist wie das montenegrinische. Die Forschungsausgaben sind mehr als dreißigmal höher.
Erst einmal wie Bulgarien, irgendwann wie Luxemburg
Die Europäische Kommission nahm Luxemburg 2020 in die Gruppe der „führenden Innovatoren“ mit hohem Innovation Index auf. Montenegro steckt sich vorerst kleinere Ziele. Aus dem Wissenschaftsministerium heißt es, man strebe danach, wie Luxemburg zu sein, sei aber „realistisch“. Denn noch sei Montenegro kein EU-Mitgliedsstaat und die luxemburgischen Lösungen möglicherweise nicht die besten für die montenegrinische Forschungsgemeinschaft.
Wo es eine Rangliste gibt, ist ein Kräftemessen trotzdem nicht weit. Zu welchen Ländern Montenegro aufholen wolle, sagte Branka Zizic beim Euroscience Open Forum 2020: Bulgarien, Kroatien und Polen, die die Europäische Kommission als „moderate Innovatoren“ einstuft. Doch Zizic betonte, es sei vor allem wichtig, nicht wieder zurückzufallen.