„Schatz, ich habe heute eine FEJKA-Pflanze für unser Nest gefunden! Sieht noch ganz grün aus, fast wie frisch von IKEA.“ – „Ich habe doch gesagt, du sollst eine SMYKA mitbringen. Die FEJKA ist hässlich.“ Ob Blässhühner sich so über die Dekoration ihres Nests streiten, wissen wir nicht. Dass die Vögel solche künstlichen Pflanzen benutzen, hat aber ein Biologe aus den Niederlanden nachgewiesen. Er will herausfinden, ob das den Tieren nützt oder schadet.
Foto: Ein Blässhuhn mit einem künstlichen Blatt in seinem Nest. Credits: Lisa Rijkers
Auke-Florian Hiemstra staunte nicht schlecht, als er ein Blässhuhn-Nest aus seinem Gefrierschrank holte. „Fast alles war verwelkt und braun, aber einige Pflanzen waren immer noch richtig grün“, erinnert er sich. Zwischen die erwarteten Plastikteile, Stöcke und Blätter hatten sich einige Kunstpflanzen gemischt. Die Fake-Pflanzen waren selbstverständlich noch so grün wie am Tag, als er sie in den Gefrierschrank gelegt hatte. Der Biologe aus der Stadt Leiden in den Niederlanden untersucht Blässhuhn-Nester und friert diese dafür einige Tage lang ein, um die Parasiten und Keime darin abzutöten.
Dass Vögel und insbesondere Blässhühner Plastik in ihren Nester verbauen, ist nichts Neues. Viele Tiere nutzen Kunststoff anstelle von natürlichem Baumaterial. Ein wenig kurios wird es, wenn die künstlichen Teile dann aber so aussehen wie echte Gräser und Sträucher. Für Menschen sind Plastikpflanzen zwar meist leicht von natürlichen zu unterscheiden, die Fakes werden aber immer realistischer. Es gibt mittlerweile sogar einige Plastikpflanzen, die gebräunte Blattspitzen und kleine Triebe haben, um naturnäher auszusehen. „Realistisch genug für die Vögel sind die Pflanzen allemal“, meint Auke-Florian.
Forschung mit Abstecher zu IKEA
Der ungewöhnliche Fund weckte seine wissenschaftliche Neugier. Weil die Fake-Pflanzen in der Fachliteratur noch nie beschrieben wurden, hat er sie sich mit einem kleinen Augenzwinkern systematisch-wissenschaftlich angeschaut. Für die Bestimmung der „Pflanzen“-Arten hat er sich dafür sogar eine Botanikerin mit ins Boot geholt.
Normalerweise funktioniert die Bestimmung von Pflanzen in der Biologie so, dass man anhand von Pflanzenmerkmalen wie der Blütenfarbe oder Blattform die genaue Bezeichnung der Pflanze ermittelt. Bei seltenen Arten gehen Biologinnen und Biologen zu einem Experten oder einer Expertin gehen oder in die Bibliothek, um genauere Informationen zu finden. In diesem Fall mussten sie aber ungewöhnlichere Wege gehen. Auke-Florian und seine Kollegin hat es bei der Bestimmung zum Beispiel zu Deko-Shops und IKEA verschlagen. „Das war eine ganz andere Art, die Pflanzen zu bestimmen, aber wir haben uns Mühe gegeben, auch wenn wir ein bisschen rumsuchen mussten“, sagt er.
Die beiden Forschenden haben ihre Funde sogar wissenschaftlich benannt. Dafür haben sie die natürlichen Vorbilder der Kunstpflanzen ausfindig gemacht und dann neue, aber ähnliche Namen vergeben. Schließlich wurden die künstlichen Pflanzen in die Nationale Herbariumsammlung des Naturalis Biodiversity Center, dem Naturhistorischen Museum in Leiden, aufgenommen – allerdings mit einem Vermerk, dass es sich um Plastik handelt. (Hier seht ihr, was das Museum sonst noch zu bieten hat.)
Eine Gefahr für die Tiere
Wo genau die Blässhühner die Fake-Pflanzen herhaben, kann Auke-Florian nicht sagen. In den Kanälen Leidens findet er nämlich sehr selten Kunstpflanzen. Aber Blässhühner nutzen auch sonst gerne Plastik für ihre Nester, nicht nur solches, das aussieht wie Pflanzen. So ganz ungefährlich, wie es die etwas ungewöhnliche Untersuchung vermuten lässt, ist das Ganze aber nicht. Bei jüngeren Untersuchungen haben Forscher in den meisten Nestern der Blässhühner mehr Plastik als natürliche Materialien gefunden. Durch die Coronavirus-Pandemie ist das Problem noch viel schlimmer geworden. Insbesondere die vielen weggeworfenen Masken sind eine Gefahr für die Tiere. „Blässhühner haben dinosaurierartige Füße, die sich schnell im Plastik verfangen“, erklärt Auke-Florian.
In einem großen Projekt hat er zusammen mit der Universität Leiden und tausenden Freiwilligen in den ganzen Niederlanden Infos zu Vogelnestern mit Pandemiemüll zusammentragen lassen. Die Daten aus dem Projekt deuten darauf hin, dass der Plastikabfall, der in Verbindung mit der Pandemie entstanden ist, in großen Mengen in den Nestern von Vögeln gelandet ist. Auke-Florian selbst hat während des Projekts in der Hauptstadt Amsterdam seit der Pandemie kein einziges Nest ohne Maskenteile gefunden.
Angefangen hat die Plastiksucherei für Auke-Florian mit einer Aktion, die er unabhängig von seiner Forschung zusammen mit einer anderen Doktorandin aus Leiden gestartet hat. Mit der Grachtwacht fahren sie wöchentlich mit Kanus durch die Grachten Leidens und fischen Plastik und anderen Müll aus den Kanälen. Da kann auch mal ein Fahrrad dabei sein oder eben Vogelnester, die von Plastikhaufen schon fast nicht mehr zu unterscheiden sind.
Während Auke-Florian mit dieser Gruppe nach einem Festival Plastikbecher aus den Grachten gefischt hat, ist ihm ein Blässhuhn aufgefallen. Der Vogel baute einen der Plastikbecher in sein Nest ein, als wäre es das Normalste der Welt. Das hat den Biologen stutzig gemacht und ihn auf die Idee gebracht, die Nester dieser Vögel zu untersuchen. Viele Fragen zum Plastik-Gebrauch der Blässhühner sind noch offen. Als nächstes will Auke-Florian sich den Mageninhalt von einigen Blässhühnern anschauen, um herauszufinden, ob sie den Müll auch fressen. Dafür habe er auch schon einen Gefrierschrank voll mit toten Tieren, die er untersuchen kann.
Die Welt ist aber, wie so oft, nicht nur so schwarz-weiß wie das Gefieder von Blässhühnern. Das Plastik in den Nestern könne auch Vorteile für die Tiere haben, erklärt Auke-Florian. In ein Nest, das er gefunden hat, hatte ein Vogel ein langes Paketband hineingewoben. Dadurch war dieses Nest viel stabiler als andere. Eine weitere Vermutung, die der Biologe noch überprüfen möchte, ist, ob das Plastik die Nester besser isoliert als andere Materialien. Dafür will er eine Wärmeanalyse durchführen.
Es deutet aber einiges darauf hin, dass die Vögel lieber ohne Plastik bauen würden. Legt man den Blässhühnern zum Beispiel mehr natürliche Materialien in die Nähe, verwenden sie auch vorzugsweise diese. Vielleicht sind die Vögel aber auch einfach nicht wählerisch. Ob sie nun FEKJA, SMYKA oder doch einen echten Zweig verwenden, kann man die Blässhühner leider schlecht fragen.