Drei Frauen und ein Mann sitzen auf dem Boden und werfen bunte Papierfiguren in die Luft

Rumänien: Das Land der glücklichen Forschenden?

Technische Universität Cluj-Napoca

Akademikerinnen und Akademiker sind besonders häufig von psychischen Störungen betroffen. Befristete Verträge, extremer Konkurrenzdruck und ein Mangel an Forschungsfinanzierung sind nur ein paar der Faktoren, die den wissenschaftlichen Nachwuchs Europas zur Verzweiflung bringen. Doch für ein Land scheint das nicht zu gelten: Rumäniens junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zählen zu den zufriedensten in ganz Europa. Was ist da los?

Foto: Diese Rumäninnen haben an ihrer Uni offenbar Spaß. Credit: Unsplash/Cristi Tohatan

Mit Rumänien verbinden viele Menschen schaurige Vampirgeschichten und wunderschöne Wanderwege durch die Karpaten. Vielleicht kommt einem auch der ein oder andere Korruptionsskandal in den Sinn. Doch als Wirtschafts- geschweige denn Wissenschaftsstandort ist das südosteuropäische Land in Deutschland nicht bekannt. Gemeinsam mit Griechenland teilt es sich laut Eurostat den drittletzten Platz in der europäischen Union (EU), wenn es um die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung geht. Und auch Forschungsgelder fehlen dem Land. Was macht die rumänischen Forschenden also so zufrieden?

Ranglistenführer in Punkto Doktorandentraining

Um ihrer Zufriedenheit auf den Grund zu gehen, lohnt es sich einen Blick an den Anfang ihrer wissenschaftlichen Karrieren zu werfen. Denn schon dort fällt auf: rumänische Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler nehmen ihre Doktorandenausbildung, das sogenannte PhD-Training, als überdurchschnittlich gut war und führen sogar im EU-Vergleich. Das geht aus der MORE4 Studie der Europäischen Kommission hervor. Rund 100 der insgesamt 375 befragten Forschenden aus Rumänien befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung noch in der wissenschaftlichen Ausbildung oder haben vor kurzem ihr PhD-Training abgeschlossen. Diese kleine Gruppe kann selbstverständlich nicht die Meinung aller (Nachwuchs-)Forschenden widerspiegeln. Dennoch fällt auf, dass sich die Befragten in vielen Punkten einig sind und sich somit deutlich vom EU-Durchschnitt, den die Studie ermittelt hat, abheben. Demnach findet der wissenschaftliche Nachwuchs Rumäniens seine Institution nicht nur am attraktivsten, sondern gab auch an, die meisten internationalen Netzwerke entwickelt zu haben und am häufigsten mit anderen wissenschaftlichen Fachbereichen zusammenzuarbeiten.

Transparenz sorgt für ein besseres Wohlbefinden in der Forschung

Doch wie geht es nach der Ausbildung weiter? Für einen Großteil der rumänischen Forschenden vor und direkt nach ihrem Doktor-Abschluss scheint es klar zu sein: Knapp 90 Prozent empfinden ihre Berufslaufbahn als transparent. Auch hier führt das Land den EU-Vergleich an, in Portugal sind es beispielsweise nur 60 Prozent. „Es herrscht oft ein uneinheitliches Verständnis darüber, wie die tatsächlichen Karrierewege aussehen“, erläutert Dr. Darragh McCashin, der an der psychologischen Fakultät der Dublin City University in Irland forscht. Er beschäftigt sich mit der psychischen Gesundheit von Forschenden und betont, wie wichtig Transparenz am Arbeitsplatz ist.

Durchschaubare Beförderungsmöglichkeiten und -erwartungen sind laut McCashin förderlich für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden. Es sollte kaum noch überraschen: Auch hier hat Rumänien EU-weit wieder die Nase vorne. Rumänische Forschende geben am häufigsten an, dass ihre Karriereentwicklung leistungsabhängig ist. Probleme wie Willkür, persönliche Bevorzugung oder politische Einflussnahme scheinen in diesem Fall also keine Rolle bei Beförderungen zu spielen, sondern vor allem die persönlichen Fähigkeiten.


Junge Forschende fordern mehr Festanstellungen

Darüber hinaus sei es laut McCashin wichtig, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, inwiefern die eigene Erwartungshaltung an eine unbefristete Festanstellung überhaupt mit den Gegebenheiten der Arbeitsstelle zusammenpasst. In Deutschland hat genau dieser Punkt in den vergangenen Jahren für Proteste, vor allem unter jungen Forschenden, gesorgt. Unter dem Hashtag #IchbinHanna berichteten sie auf Twitter und in den Medien von kurzfristigen Arbeitsverträgen, dauerhafter Unsicherheit und dem daraus folgenden Stress. Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 zeigt: Etwa neun von zehn Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in Deutschland sind befristet angestellt – im Durchschnitt für nur für ungefähr zwei Jahre. Diese Befristung ist sogar aktiv gewollt und im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt. Eine unbefristete Stelle aufgrund guter Leistung zu erhalten, gilt laut MORE4-Studie nur in wenigen Ländern Europas, wie beispielsweise Tschechien, Island und Rumänien, als üblich.

Warum sich diese Unsicherheit negativ auf das Wohlbefinden auswirken kann, erläutert Prof. Dr. Vlad Glaveanu, der ebenfalls an der Fakultät für Psychologie der Dublin City University forscht: „Aus Studien über die menschliche Bindung wissen wir, dass wir schon früh im Leben eine sichere Basis brauchen, um unsere Umwelt selbstständig erkunden können.“, erläutert der gebürtige Rumäne. Betrachte man die menschlichen Bedürfnisse also wie eine Pyramide, wie der berühmte Psychologe Abraham Maslow, bilden Sicherheit und Geborgenheit eine Plattform, auf der andere Motivationen aufbauen können.

Maslows Hierarchie

Abraham Maslow (1908-1970) war ein US-amerikanischer Psychologe. Als Therapeut war er auf der Suche nach der Ursache von psychischen Störungen und ging der Frage nach, wie eine „gesunde“ psychische Entwicklung von Menschen gelingen kann. In seiner berühmten Bedürfnistheorie von 1943 identifizierte er zunächst fünf Grundbedürfnisse, deren Befriedigung er als ausschlaggebend für die menschliche Entwicklung empfand. Maslow ordnete die Bedürfnisse hierarchisch an und schrieb, dass das jeweils niedrigere Bedürfnis (etwa Grundbedürfnisse wie Nahrung und Schlaf) „ausreichend“ befriedigt sein muss, bevor das nächsthöhere (etwa Sicherheitsbedürfnisse wie Arbeit und Einkommen) in den Aufmerksamkeitsfokus einer Person gerät. Dieses System wird häufig in einer Pyramidenform dargestellt (siehe Grafik). Vermutlich würde sie ihm nicht besonders gefallen, da sie sehr statisch ist und suggeriert, dass ein Bedürfnis zu 100 Prozent erfüllt sein muss, bevor ein anderes entsteht – was laut Maslow nicht der Fall ist. Neuere Modelle verstehen die von Maslow definierten Grundbedürfnisse eher als „Wellen“, die sich gegenseitig überlappen.
Häufig wird Maslows Bedürfnis-Hierarchie als Pyramide dargestellt. Diese Darstellung ist zwar leicht zu verstehen, wird jedoch oft kritisiert: Denn sie ist stark vereinfacht und stammt im Übrigen auch nicht von Maslow selber.

Vielleicht liefert genau dieser Punkt eine Antwort auf die Frage, warum die rumänischen Forschenden so hohe Zufriedenheitswerte angeben. Zwar erzielen sie in der Kategorie Forschungsfreiheit und Zufriedenheit mit Fördergeldern im Europavergleich der MORE4-Studie mit Abstand die schlechtesten Werte – dafür sind sie aber gemeinsam mit den isländischen Forschenden am zufriedensten mit ihrer Jobsicherheit. Die „Basis“ der Pyramide stimmt also. „Das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit im akademischen System wird durch die Tatsache stabilisiert, dass Sicherheit wichtiger ist als Autonomie, zumindest wenn man die Daten betrachtet“, schlussfolgert Glaveanu. Während mangelnde Chancen zur Selbstverwirklichung also gegenüber zufriedengestellten Grundbedürfnissen wenig ins Gewicht fallen, gestaltet es sich andersherum viel schwieriger. Forschungsgelder sowie ein hohes Maß an Autonomie und Anerkennung können schlechte Arbeitsbedingungen und eine anhaltende Unsicherheit kaum ausgleichen.

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