Seit der Entscheidung zum Kohleausstieg Ende 2020 werden immer mehr Zechen geschlossen. In Polen sind das einige hundert Stück. Wie können postindustrielle Städte in Zukunft lebenswert gestaltet werden? Und können alte Kohleminen dabei mehr als nur Ballast sein und vielleicht sogar als Energiespeicher oder Kulturzentren genutzt werden?
Foto: Eine Häuserreihe im schlesischen Bytom. Credits: pixabay/ kurtdeiner
Stillgelegte, ungenutzte Zechen und kontaminierte Böden – so sieht es in Teilen der polnischen Stadt Bytom aus. Der Grund: Jahrelanger Bergbau. Abgesackte Böden, schiefstehende Häuser und eingestürzte Gebäude prägen das Stadtbild. Straßen sind teils unbefahrbar. Eine Stadt, die unattraktiv für ihre Bewohner*innen wird. Auch Umweltverschmutzung, darunter Smog, verschmutztes Wasser und Böden belasten die Stadt. Hier ist es normal, dass im Winter Atemmasken getragen werden, da viele Anwohner*innen mit alten Kohleöfen heizen. Zusätzlich prägt auch Arbeitslosigkeit diese Region.
All diese wirtschaftlichen und ökologischen Probleme haben zur Folge, dass mittlerweile rund 20.000 Menschen die Stadt verlassen haben. Die verbliebenen 120.000 Anwohner*innen sowie der Bürgermeister bemühen sich um Besserung in ihrer Stadt, bestehen auf Veränderungen. So wurde Bytom beispielsweise in den „Just Transition Mechanism“ (Abkürzung: JTM, zu deutsch: gerechter Übergang) aufgenommen. Dieser ist Teil des von der EU-Kommission verabschiedeten European Green Deals, der dafür sorgen soll, dass die Europäische Union bis 2050 klimaneutral wird. JTP soll Menschen und Städte, die durch die Energiewende von großen strukturellen Veränderungen betroffen sind, durch finanzielle Hilfe bei dem Strukturwandel unterstützen.
Und wenn dieses Geld richtig investiert wird – beispielsweise in Sanierungen, Umweltschutz, andere wirtschaftliche Standbeine und einen kulturellen Wandel, dann besteht die Chance auf eine gute Zukunft – so wie in der ehemaligen Kohlehochburg Kattowitz. In den letzten Jahrzehnten hat die Stadt einen drastischen Wandel hingelegt. Wo 1999 im Bergwerk Kattowitz noch über 20.000 Bergleute arbeiteten und über 176 Jahre hinweg mehr als 120 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert wurde, fand 2018 die UN-Klimakonferenz statt.
Polen hat mehr Zeit für den Kohleausstieg als andere EU-Staaten, aber diese Zeit wird auch benötigt: Rund 70 Prozent der Energie im Strommix kommen aus Kohleverbrennung und zwischen 60 und 70 Kohleminen sind noch aktiv. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es zur Zeit rund 16 aktive Braunkohleminen. Obwohl Polen im globalen Vergleich einen kleinen Anteil am jährlichen Kohleverbrauch und -export hat – nämlich nur ein Prozent – ist es doch für das Land selbst einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren. Durch Kohle wurde auch lange eine Energieunabhängigkeit gesichert.
Genau deswegen forscht Marcin Lutynski, Professor für Bergbau und Geologie an der Schlesischen Universität, wie die Transformation des Bergbaus in Polen ablaufen kann. Dabei ist die Stromversorgung ein großes Thema, denn Polen wünscht sich weiterhin eine größtmögliche Energieunabhängigkeit. Aber auch für die vielen Software- und IT-Unternehmen, die sich mittlerweile in Kattowitz niedergelassen haben, macht es die Stadt attraktiver, wenn eine direkte Stromversorgung in der Gegend möglich wäre.
So schmiedet Polen bereits Pläne für Atomkraftwerke an der polnischen Ostseeküste. Diese sollen Anfang der 2030er ans Netz gehen. Aber auch auf erneuerbare Energie wird gesetzt. Ein Problem hierbei: Die Sonne scheint und der Wind bläst nicht immer. Spricht man über die Nutzung von erneuerbarer Energie, muss man also auch immer über die Speicherung dieser Energie sprechen. Auch dazu und wie hierfür die stillgelegten Zechen noch richtig nützlich werden könnten, forscht Marcin Lutynski.
Wie Schwerkraft Energie speichern kann
Ein Ansatz ist sich die Schwerkraft zu Nutze zu machen. Es ist ein Prinzip, das Issac Newton bereits Ende des 17. Jahrhunderts entdecke. Doch wie kann dieser alltägliche Mechanismus bei der Energiewende helfen? Hier kommt das Prinzip ins Spiel, das Aufzügen ähnelt: Ist gerade überschüssige Energie vorhanden, werden Aufzüge voller Sand aus den Tiefen der Mienen nach oben geholt. Denn für das Raufbringen wird die überschüssige Energie genutzt. Diese – in der Physik als potentielle Energie bekannt – wird dann in den Sandsäcken gespeichert. Durch diesen Prozess kann Energie gespeichert werden. Wenn dann mehr Energie benötigt wird, als gerade beispielsweise durch Windkraft erzeugt wird, werden dieselben Aufzüge möglichst tief in die Mine hinabgelassen, wodurch die Energie, die für das Hochfahren der Aufzüge benötigt wurde, wieder freigesetzt wird. Dieses Prinzip nennt man auch regeneratives Bremsen. Stillgelegte Zechen eignen sich für diesen Ansatz besonders gut, da bei ihnen schon die Grundlagen der benötigten Infrastruktur da sind, erklärt Professor Lutynski. So könnten Kosten gespart werden.
Wasserstoff – das Gas mit Potential
Potential wird außerdem in der Nutzung von Minenschächten für die Speicherung von Wasserstoff (H2) gesehen. Denn steht Energie durch Solar- oder Windkraft zur Verfügung, kann diese genutzt werden, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Dieser Vorgang heißt Elektrolyse. Der Wasserstoff, der dabei entsteht, kann als Energiequelle dienen. Dieser entstandene Wasserstoff wird dann komprimiert und in den Minen gelagert. In Zeiten, in denen der Energiebedarf steigt, wird der Wasserstoff wieder mit Sauerstoff in Kontakt gebracht. Durch die Reaktion der beiden Elemente miteinander entsteht Energie.
Bei dieser Art von Energiespeicherung gibt es auch Risiken, denn Wasserstoff ist ein explosives Gas. Trotzdem wird in verschiedenen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland bereits an konkreten Projekten geforscht. In den Minenschächten in Polen könnte es aber auch Vorteile geben: Sie haben ein großes Volumen und durch ihre unterirdische Lage sind sie vor Umwelteinflüssen geschützt.
Wie zukunftssicher sind diese Ansätze?
Was all diese Ideen, Projekte und Lösungsvorschläge zur Energiespeicherung gemeinsam haben: Sie befinden sich zum großen Teil noch in einer Forschungsphase. Auch die Finanzierung wirft Fragen auf. „Die Schließung der Zechen ist so oder so ein enorm kostenaufwändiger Prozess. Doch mit den richtigen Investoren, ist es sicherlich ein Schritt, der sich lohnt“, so Professor Lutynski. Teilweise werden Projekte staatlich gefördert, doch auch die Industrie habe ein Interesse an der weiteren Nutzung von Mienenschächten.
Welche Techniken sich später durchsetzen und ob ein glatter Übergang, wie Professor Lutynski sich ihn vorstellt, Realität wird, ist schwer zu sagen. Er meint jedoch, dass jeder dieser Ansätze Potential hat. „Wir brauchen keine fünfzig Museen und jeder Minenschacht oder Zechengelände hat andere Gegebenheiten. Die Mischung aus allen Möglichkeiten wird es machen.“
Kohle als DNA in der polnischen Identität
Trotzdem bleibt die Kohle ein großer Teil der polnischen Geschichte und Identität: Arbeiterbewegungen entstanden durch den Bergbau. Die Menschen waren stolz im Bergbau zu arbeiten. Immer noch finden Feste, um dies zu ehren statt. Auch im Wahlkampf ist der Kohleausstieg ein stets präsentes Thema.
So kommt Lutynski immer wieder in Kontakt mit Bergmännern: „Sie sind reservierter, besonders wenn es um neue Ideen der Kohleminennutzung geht. Sie denken da einfach eher konservativ, was sehr charakteristisch für diese Region ist.“ Das Familienbild sei geprägt von dem Kohleabbau: Ein Ehemann und Vater, der das Geld als Bergarbeiter einbrachte und eine Frau, die sich zu Hause um die Kinder und den Haushalt kümmerte. „Was vielen meiner Studierenden nicht bewusst ist: Als Bergmann hat man einen der bestbezahltesten Jobs, die es gibt.“, so Professor Lutynski. Der Sektor der erneuerbaren Energie könne da nicht mithalten. Im Schnitt verdiene man hier bis zu 20 Prozent weniger.
Bereits in den 90er-Jahren schlossen in der Metropole Kattowitz viele Minen. Obdachlosigkeit und Drogenhandel prägten das Stadtbild Ende des 20. Jahrhunderts, in der 70 Prozent der Bewohner ihren Job verloren. Doch knapp 30 Jahre später ist die Stadt fast nicht wiederzuerkennen. Wie ist sowas realisierbar?
Kohle ohne Kohle? – Wie Polen neuer IT-Standort wird
Besonders wichtig war es, ein alternatives wirtschaftliches Standbein aufzubauen. “Wir haben den Arbeitsmarkt von der Schwerindustrie verändert und die Kohlebergwerke durch Unternehmen, durch neue Technologien, durch die Unterhaltungs- und Kulturindustrie ersetzt”, erklärt Marcin Krupa, Bürgermeister von Kattowitz. Mittlerweile arbeiten mehr Menschen im Dienstleistungssektor als im Bergbau.
Besonders stark ist aber auch der IT-Sektor. Viele ausländische Firmen sehen Potential in der Stadt und lassen sich nieder. Das liegt vor allem an der zentralen Lage von Kattowitz und daran, dass rund 80.000 junge Menschen an den 23 Universitäten studieren. Menschen, die sich bilden und entwickeln wollen und zu Fachkräften ausgebildet werden. Die Stadt versucht außerdem wirtschaftliche Anreize über Steuervorteile oder Subventionen zu schaffen.
Kultur statt Smog
Aber nicht nur sichere Jobs sind für eine gute Stadtentwicklung wichtig – denn neben ehemaligen Bergleuten, leben hier viele Studierende, die sich Kulturangebote wünschen. Deshalb finden beispielweise Musikfestivals und Kongresse in der Stadt statt. Und um die Geschichte der Stadt und der Bergarbeiter zu bewahren, werden Teile mancher Zechen auch zu Museen umfunktioniert. Außerdem werden traditionelle Feiertage, wie der Barbaratag, weiterhin gefeiert. Hier wird am 4. Dezember ein Zweig eines Obstbaums abgeschnitten. Bis zum Heiligen Abend soll dieser blühen und so Freude in die dunkle Jahreszeit bringen. Denn die Heilige Barbara – eine Figur im christlichen Glauben – gilt als Schutzpatron der Bergarbeiter.