Ungezähmt rauscht die Vjosa durch die Landschaft, sie schlängelt sich, wie sie will – verlegt ihren Lauf mal hier hin, mal da hin. Sie überwindet Schluchten, fließt als Wasserfall Hügel hinunter, umspült Felsen, die ihr im Weg sind. Sie breitet sich als Strom im Tal aus oder plätschert durch weiße Kiesel. Dabei wird Sediment transportiert, sodass sich im Flussbett und am Ufer Sand- und Schotterbänke bilden. Ihr Ungehorsam macht sie zum Letzten ihrer Art – einen Wildfluss wie die Vjosa gibt es in Zentraleuropa sonst nicht mehr.
Die Vjosa entspringt in Griechenland – unter dortigem Namen Aoos – und fließt schließlich durch Albanien. Über 270 Kilometer Strecke legt sie zurück. Da die Vjosa in Albanien nicht durch den Menschen begradigt oder bebaut ist und nur wenige Dörfer dort angesiedelt sind, hat sich eine eigens für die dortige Landschaft typische Artenvielfalt entwickelt: Im Vjosatal halten Auen die Bö-den feucht und bieten Lebensraum für Pflanzen, Fische, Muscheln sowie Ziegen und Vögel. Über 1000 Tierarten wurden an der Vjosa dokumentiert – darunter gefährdete und seltene. Wie zum Beispiel der laut IUCN als gefährdet eingestufte Schmutzgeier, der sich sonst nur selten nach Mitteleuropa verirrt.
Lange Zeit war die Vjosa von geplanten Staudämmen bedroht. Erst im März 2023 hat die Regierung Albaniens das 12.000 Hektar große Vjosatal als ersten europäischen Wildfluss-Nationalpark unter Schutz vor Ölbohrungen, Kiesabbau und der Wasserkraftindustrie gestellt. Doch Naturschützer:innen bleiben besorgt: Bei dem ebenso geschützten Vjosa-Zufluss Langariça wurden trotz eines solchen Versprechens Kraftwerke gebaut. Außerdem errichtet Albaniens Regierung seit November 2021 den Flughafen Vlora im Vjosa-Delta nahe der Mündung in die Adria. Albanische Naturschutzorganisationen klagen gegen den Bau, weil ganz in der Nähe wichtige Rast- und Brutplätze für mehr als 60 Vogelarten liegen, insbesondere für Flamingos und Krauskopfpelikane.
Laut Angaben des Nationalsparks jedoch sollen im Raum der Vjosa nur lokale Landwirtschaft und Fischerei in geringem Maß erlaubt bleiben – und vor allem nachhaltiger Tourismus: Anfang 2024 wurde der Vjosa-Nationalpark eröffnet. Tourist:innen können raften, wandern, zelten, in Schluchten klettern oder schwimmen. Die Strände der Adria, Thermalbäder und ein Archäologischer Park bieten ausreichend weitere Aktivitäten. Auch werden Führungen, zum Beispiel auf dem Pferd, Workshops von Einheimischen und lokale albanische Gerichte angeboten. Letztere umfassen Suppe mit Fleischbällchen, Spinatpasteten und eine Nachspeise aus Schafsmilch und Zimt.
Webseite des Nationalparks (Englisch): https://www.vjosanationalpark.al/
Foto : Die Vjosa – der letzte frei fließende Fluss in Europa. Credits: © Gregor Subic